Montag, 19. Juni 2023

Jazz im ganzen Land: Neues Hören – mit Fernsicht

Überraschendes, Exzentrisches, Experimentelles – und immer hohe Qualität: Vom 30. Juni bis zum 9. Juli bespielt das Südtirol Jazzfestival über 30 Konzertstandorte im ganzen Land.

Vom 30. Juni bis zum 9. Juli findet das Südtiroler Jazzfestival statt. - Foto: © Digitama

Nur die Fische sind geblieben: Als der US-amerikanische Regisseur Abel Ferrara im Frühjahr 2019 einige Szenen für seinen Spielfilm „Siberia“ im Bunker H in der Bozner Fagenstraße inszenierte, setzte er in einem überfluteten Bereich Aale aus. Die Filmcrew reiste nach den Dreharbeiten ab, „Siberia“ wurde 2020 im Hauptwettbewerb der Berliner Filmfestspiele gezeigt – und die Aale schwimmen noch heute durch ein künstliches Höhlensystem, das deutsche Soldaten 1943 und 1944 als Luftschutzraum in den Quarzporphyr gesprengt hatten.

Am 4. Juli „bespielen“ die koreanische Drummerin Sun-Mi Hong und der schottische Trompeter Alistair Payne das Labyrinth aus langen Tunneln, engen Gängen und Hallen und loten in einem unterirdischen Raum die Klangmöglichkeiten ihrer Instrumenten-Kombination aus.

Eine ganze Region wird zur Jazzbühne

Vom 30. Juni bis zum 9. Juli bietet das Südtirol Jazzfestival 55 zumeist kostenfreie – Konzerte an besonderen Standorten an, wie in der Brennerei Roner in Tramin, im Kloster Neustift, im Ost-West-Country Club in Meran, im Stanglerhof in Völs, im Getränkeladen harpf in Bruneck oder im Social Activation Hub Basis Vinschgau auf dem Gelände der Drusus-Kaserne in Schlanders. So belgeiten vom 2. bis zum 4. Juli die österreichischen Musiker Siegmar Brecher (Bassklarinette), Lorenz Raab (Trompete) und Valentin Schuster (Schlagzeug) eine Jazzwanderung, die von der Gardenacia-Hütte bis zur Silvesterkapelle im Langental führt, die Brüsseler Band Don Kapot und der Pianist Fulco Ottervanger präsentieren am 6. Juli auf dem Dach der Tourismusgenossenschaft in Brixen eine 60-minütige Suite mit einem lustigen Mix aus Krautrock und Jazz, die Cellistin Mabe Fratti aus Guatemala spielt am 7. Juli im Garten des Parkhotels Holzner in Oberbozen experimentelle Eigenkompositionen und die junge deutsche Band Stax stellt am 9. Juli am Trejer See am Speikboden ihr neues Album „Suboptimal“ vor.

Der Jazz ist ein Nachtgewächs. Im Batzen Sudwerk in Bozen erweitern junge Ensembles mitten in der Nacht die Klangräume des Jazz. Die Late-Night-Konzerte sind Entdeckungsreisen - mit elektronischen Sounds, Klang-Robotern, grenzlosen Improvisationen, Experimenten und exklusiven Band-Projekten.

Zentraler Standort in Bozen

Auch in diesem Jahr ist der Kapuzinerpark in Bozen der zentrale Standort des Festivals – und wird damit zur wichtigsten Jazzlocation im ganzen Land. An neun Veranstaltungstagen finden in der grünen Oase im Stadtzentrum 15 Konzerte statt – von der Opening-Night mit 3 Ensembles über Konzerte mit herausragenden Formationen aus der jungen europäischen Szene bis zu den Basecamp-Sessions mit jeweils 2 Gruppen und einer Euregio Collective Night mit drei Bands.

Das „Basislager“ in Bozen ist vom 30. Juni bis zum 8. Juli täglich von 19 bis 24 Uhr geöffnet. Zur Grundausstattung des weitläufigen „Basislagers“ gehören auch in diesem Sommer – neben der Jazz- Bühne – eine Bar und ein Restaurant.

Manche Jazz-Locations sind eng mit der Landesgeschichte verbunden wie der Poschhausstollen, der 1962 im Lazzacher Tal angeschlagen wurde, um das Erzlager unter dem Schneeberg von der Ridnauner Seite aus zu erreichen. Vor dem Stolleneingang, inmitten einer einzigartigen hochalpinen Bergwelt jenseits der Baumgrenze, lässt das französische Trio La Litanie des Cimes am 2. Juli eine kontemplative Klanglandschaft entstehen und verbindet improvisierten Jazz mit Elementen der „klassischen“ Musik.

Geschichtsträchtige Location

Ein geschichtsträchtiger Spielort ist auch die Franzensfeste: Die 1838 dem österreichischen Militär übergebene Festungsanlage im Eisacktal war lange ein geheimnisvoller Ort: unzugänglich, bedrohlich, zeitweise bewohnt von zweitausend Soldaten, Aufbewahrungsort der im Zweiten Weltkrieg der Banca d’Italia entwendeten Goldreserven und Munitionsdepot des italienischen Heeres. Am 8. Juli bieten drei Musiker der Band Ghost Horse eine akustische Führung durch die Gewölbe und Kasematten an und verwandeln das graue Bollwerk aus Stein zu einer bunten Klangkulisse. Nach dem Rundgang spielt die italienische Avantgarde-Band in voller Besetzung im Außenbereich der Mittelfestung ein Konzert.

Als man den Tenorsaxophonisten Lester Young aufforderte, den Stil des Count-Basie-Orchesters aus den dreißiger Jahren zu rekonstruieren, antwortete er: „Ich spiele nicht mehr so. Ich spiele anders und ich lebe anders“. Der Jazz ist immer auch die Musik der Zeit. Wie das klingen kann, zeigt das Südtirol Jazzfestival auch am 30. Juni in den Messehallen in Bozen: Dort kombiniert ein Clubbing nach dem Eröffnungskonzert im Kapuzinerpark unter dem Motto Synergy Techno, elektronische Musik, Jazzelemente und Kunst-Visuals. Ein großes Fest zum Sehen, Hören und Tanzen und eine „schräge“ Reise in die Zukunft.

stol

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