Sonntag, 3. März 2024

Daniel Andergassen aus Kaltern: Vom Schulrepetenten zum Spitzenforscher

Der Südtiroler Forscher Daniel Andergassen hat kürzlich den renommiertesten und höchst kompetitiven Starting Grant des Europäischen Forschungsrates (ERC) erhalten. Von rund 3000 Bewerbern erhalten in der Antragsrunde rund 400 Wissenschaftler einen „Starting Grant“ für 5 Jahre. Im STOL-Interview erzählt er, wie er vom Schulrepetenten in Kaltern zum international anerkannten Forscher wurde und was ihm dabei besonders geholfen hat.

Daniel Andergassen aus Kaltern neben seinem Starting Grant. - Foto: © Florian Andergassen

Von:
Matteo Tomada
STOL: Herr Andergassen, herzlichen Glückwunsch zum Starting Grant! Ihre Karriere begann holprig: Sie haben ein Jahr die Mittelschule wiederholt und haben sogar eine Zeit lang die Schule geschmissen. Wie stolz sind Sie jetzt?
Daniel Andergassen: Sehr! Wenn mich das jemand vor 30 Jahren gefragt hätte, wäre ich noch stolzer gewesen. Aber da ich das alles nach und nach aufgebaut habe, merkt man das im ersten Moment gar nicht so richtig.

STOL: Wie haben Sie den Preis gewonnen?
Andergassen: Ich musste einen detaillierten Forschungsantrag stellen. Wichtig war, dass man eine kreative Idee hat, die auch ein bisschen riskant ist. Wenn die Idee aufgeht, sollte sie einen großen Einfluss auf die Gesellschaft haben. Außerdem sollte sie natürlich Hand und Fuß haben. Mit dem richtigen Lebenslauf und etwas Glück wurde ich dann von der Jury eingeladen. Danach wurde ich sogar ausgewählt.


Mein Labor forscht an geschlechtsspezifischen Unterschieden bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Daniel Andergassen



STOL: Mit welcher kreativen Idee haben Sie die Jury überzeugt?
Andergassen: Mein Labor forscht an geschlechtsspezifischen Unterschieden bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Also was sich zwischen Mann und Frau unterscheidet. Bei Herzerkrankungen ist dies zum Beispiel die Herzschwäche, bei der das Herz nicht mehr genügend Blut pumpt um den Körper ausreichend zu versorgen. Da gibt es große Unterschiede zwischen Männern und Frauen.

STOL: Und mit diesen Untersuchungen haben Sie sich dann für den Starting Grant beworben?
Andergassen: Herzschwäche betrifft etwa 10 Millionen Menschen in Europa und mit der alternden Bevölkerung wird das Problem immer größer und kostet die EU bereits 29 Milliarden Euro pro Jahr. Leider gibt es keine Therapie für diese Krankheit. Deswegen möchte ich eine entwickeln. Die Idee ist im Prinzip, die geschlechtsspezifischen Unterschiede auf molekularer Ebene zu entschlüsseln, um daraus geschlechtsspezifische Therapien zu entwickeln. Mit dieser Idee habe ich mich um den Starting Grant beworben.


Wenn man optimistisch ist, könnte die Therapie in 10 Jahren einsatzbereit sein.
Daniel Andergassen



STOL: Sie forschen bereits länger an diesem Thema. Gibt es schon erste Ergebnisse?
Andergassen: Wir haben jetzt eine Karte von Genen im gesunden und kranken Herzen, die bei Männern und Frauen unterschiedlich aktiviert sind. Wir gehen davon aus, dass diese Gene für die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Herzschwäche eine Rolle spielen. Wir werden diese Gene nun im Krankheitsmodell testen, indem wir sie im kranken Herzen wieder aktivieren, um zu sehen, ob sich dadurch die Herzfunktion verbessert. Dazu benötigen wir Viren, um diese Gene im kranken Herzen künstlich wieder zu aktivieren (mehr zu Andergassens Forschung lesen Sie hier).

STOL: Der Starting Grant ist mit 1,5 Millionen Euro dotiert. Wofür nutzen Sie das Geld?
Andergassen: Das Geld geht in meine Forschung. Hauptsächlich werden Doktoranden, Postdoktoranden und ein Labormanager finanziert, aber auch sehr teure Experimente wie RNA-Sequenzierung.

STOL: Was ist das Ziel Ihrer Forschung?
Andergassen: Wenn wir wissen, welche der künstlich aktivierten Gene im Krankheitsmodell einen positiven Effekt auf die Herzfunktion haben, könnte man das relativ einfach in eine RNA-Therapie umsetzen.

STOL: Optimistisch betrachtet: Wann könnte es eine solche Therapie geben?
Andergassen: Schwer zu sagen. In 2 bis 3 Jahren werden wir wissen, ob es funktioniert. Dann bräuchten wir eine klinische Studie. Alles muss gründlich getestet werden. Wenn man optimistisch ist, könnte die Therapie in 10 Jahren einsatzbereit sein.


Kurz vor dem Ausbruch von Corona habe ich eine Stelle als Forschungsgruppenleiter an der Technischen Universität München bekommen, was mir die Möglichkeit gibt, mein eigenes Forschungslabor zu leiten.
Daniel Andergassen



STOL: Sie wurden in Kaltern groß. Wie sind Sie auf ein so besonderes Forschungsgebiet gekommen?
Andergassen: Nach der Matura an der Gewerbeoberschule Max Valier, Fachrichtung Informatik, habe ich in Wien Molekularbiologie studiert. Diese Entscheidung traf ich damals, weil ich Menschen heilen wollte – das war schon als Kind mein Traum. Nach dem Masterstudium war ich ein Jahr an der ETH Zürich, bin dann aber wieder nach Wien zurückgekehrt, um dort zu promovieren. 2016 bin ich dann für eine Postdoc-Stelle an die Harvard University in die USA übersiedelt. Kurz vor dem Ausbruch von Corona habe ich eine Stelle als Forschungsgruppenleiter an der Technischen Universität München bekommen, was mir die Möglichkeit gibt, mein eigenes Forschungslabor zu leiten.

STOL: Was ist ein Forschungsgruppenleiter?
Andergassen: Als Forschungsgruppenleiter bekommt man ein voll ausgestattetes Labor und ein Startbudget, um ein kleines Team aufzubauen. Das Spannende daran ist, dass man selbst bestimmen kann, in welche Richtung die Forschung gehen soll und welche wichtigen Fragen man als Nächstes klären möchte. Neben dem Halten von Vorlesungen, der Betreuung von Studierenden und der Projektplanung ist das Einwerben von Forschungsgeldern wie dem ERC Starting Grant ein wichtiger Teil meiner Arbeit. Mittlerweile hat mein Labor sehr viele Förderungen eingeworben, so dass mein Labor bis Mitte des Jahres auf 12 Mitarbeiter anwachsen wird.


Es braucht viel Motivation! Man muss vor allem Chancen nutzen und nicht immer den einfachsten Weg gehen.
Daniel Andergassen



STOL: Von Kaltern bis zum Forschungsgruppenleiter war es ein weiter Weg. Was ist aus Ihrer Sicht die wichtigste Eigenschaft, um so weit zu kommen?
Andergassen: Es braucht viel Motivation! Man muss vor allem Chancen nutzen und nicht immer den einfachsten Weg gehen. Wichtig ist auch, mit Freude und Begeisterung bei der Sache zu sein. In der Forschung muss man vor allem um die Ecke denken, d.h. Kreativität ist sehr gefragt. Man darf sich auch nicht von anderen entmutigen lassen. In jeder Phase meines Lebens gab es immer wieder Einzelne, die meinten, das brauche ich gar nicht erst zu versuchen, das gelingt nur den Besten. Aber man darf sich nicht entmutigen lassen - man braucht einen starken inneren Antrieb. Wenn man trotzdem scheitert, hat man es wenigstens versucht.

Stellenanzeigen


Teilzeit






Teilzeit





powered by
Kommentare
Kommentar verfassen
Bitte melden Sie sich an um einen Kommentar zu schreiben
senden