Donnerstag, 21. September 2023

„Wir haben 2 Kinder mit Demenz in Südtirol“

Über 250 Menschen unter 60 Jahren sind in Südtirol an Demenz erkrankt. Im Interview spricht Ulrich Seitz, Präsident der Alzheimervereinigung Südtirol (ASAA), über Hoffnungslosigkeit, fehlende Pflegeplätze und warum die ASAA in die Dörfer geht.

Eine wertvolle helfende Hand: Die Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz ist eine große Herausforderung. In Südtirol gibt es keine Pflegeangebote für junge Betroffene. - Foto: © dpa-tmn / Jens Kalaene

Von:
Teresa Klotzner
STOL: Demenz ist keine Frage des Alters. Wie viele junge Demenzerkrankte gibt es in Südtirol?
Ulrich Seitz: Aktuell haben wir 255 junge Demenzerkrankte zwischen 40 und 60 Jahren. Diese Menschen sind zum Teil ohne Hilfestellung.

STOL: Wie meinen Sie das?
Seitz: Sie fallen in ein ganz tiefes Loch, weil es wenig Hoffnung gibt, oder gar keine. Während man etwa bei einer Tumorerkrankung in der Familie einen Plan schmiedet: Jetzt machen wir die Operation, dann gibt es hoffentlich eine Reha oder Chemotherapie. Bei Demenz weiß das nähere Umfeld: Es wird nicht mehr besser. Es ist nur ein Erfolg, wenn es sich nicht in kurzer Zeit rapide verschlechtert.

Momentan gibt es keine Pflegeplätze und auch keine Rehastruktur. Ein Seniorenheim kommt nicht infrage.
Ulrich Seitz, Präsident der Alzheimervereinigung


STOL: Welche Auffälligkeiten haben junge Patienten?
Seitz: Vergessen, Orientierungslosigkeit oder Stimmungsschwankungen. Dazu kommen Sprachstörungen, Bewegungsstörungen und oft trifft die Demenz noch auf weitere Erkrankungen wie Parkinson oder Multiple Sklerose.

STOL: Wie sieht es mit Pflegeplätzen für junge Betroffenen im Land aus?
Seitz: Momentan gibt es keine Pflegeplätze und auch keine Rehastruktur. Ein Seniorenheim kommt nicht infrage. Ich hoffe, dass wir mit Ergotherapie, Logopädie, usw. so weit helfen können, dass diese Patienten doch einen relativ qualitativen Alltag führen können.

STOL: Wenn man aber nicht mehr in der Lage ist, den Erkrankten zu Hause zu pflegen?
Seitz: Da fehlt jegliches Angebot. Wir haben auch keine Entlastungsangebote. Junge Familienangehörige brauchen die Möglichkeit zum Durchschnaufen. Das ist alles aufzubauen.

Die Leute müssen den Eindruck haben, dass sie niederschwellig Fragen stellen können.
Ulrich Seitz, Präsident Alzheimervereinigung



STOL: Ein Schritt hat die ASAA bereits gemacht. Sie hat ein EU-Projekt gewonnen...
Seitz: Mit Liechtenstein und Luxemburg versuchen wir jetzt, mehr Angebote für junge Patienten zu erstellen. Wir wollen Studierende ausbilden, die sich mit jungen Demenzerkrankten auseinandersetzen und dazu forschen.

STOL: Sind alle jungen Demenzerkrankten über 40 Jahre?
Seitz: Nein, wir haben auch 2 Kinder mit Demenz in Südtirol.

STOL: Demenz ist ein Tabuthema...
Seitz: Wir müssen deshalb in die Dörfer gehen. Die Leute müssen den Eindruck haben, dass sie niederschwellig Fragen stellen können. Wir bieten uns direkt in den Gemeinden an, organisieren Infoabende. Im Oktober sind wir etwa in St. Johann im Ahrntal und in Toblach.

STICHWORT
Was ist Demenz? Was ist Alzheimer
?
Wie fühlt es sich eigentlich an, wenn man alles vergisst? „So wie Honig im Kopf. So verklebt“, beantwortete der an Alzheimer erkrankte Opa Amandus die Frage von Enkelin Tilda im gleichnamigen Erfolgsfilm von Til Schweiger. Alzheimer ist eine unheilbare Störung des Gehirns und die häufigste Form der Demenz. Der
Begriff „Demenz“ fasst mehr als 50 Erkrankungen zusammen, welche die Funktion des Gehirns beeinträchtigen.

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Eine Mutter ist die Seele der Familie. Was aber, wenn sie als Person verschwindet, wie die sinkende Sonne hinter dem Horizont? Lena Holzer (Name von der Redaktion geändert) war 51 Jahre alt, als sie vor 2 Jahren die Diagnose Demenz erhalten hat. Lesen Sie hier mehr dazu.


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