Dienstag, 8. August 2023

Südtirol: „Wachsende Zuversicht, aber zunehmend leerere Brieftaschen“

Wie geht es den Südtiroler Arbeitnehmern? Wie ist Verhältnis Einkommen-Lebenshaltungskosten? Und wie optimistisch oder pessimistisch blicken die Südtiroler in die Zukunft? Diesen Fragen ging das Arbeitsförderungsinstitut AFI im Branchenspiegel nach. Hier die Ergebnisse.

„Wachsende Zuversicht, zunehmend leerere Brieftaschen“, so könnte man das Bild für mehrere, wenn auch nicht für alle, Wirtschaftssektoren in Südtirol beschreiben. - Foto: © Shutterstock

Erstaunlicher Optimismus

„Der Beginn des Sommers markiert offensichtlich einen Moment des Optimismus über die Entwicklung der persönlichen wirtschaftlichen Situation der Arbeitnehmer, die durch die monatelange hohe Inflation belastet wurde“, heißt es vom AFI.

Dies gelte insbesondere für Lebensmittel und die Ausgabekategorie Energie/Wohnungsbau, deren bereichsspezifische Inflationsrate nach wie vor im zweistelligen Bereich liegt.

„Der Optimismus ist umso erstaunlicher, wenn man den Anstieg der variabel verzinsten Darlehensraten berücksichtigt“, heißt es vom AFI.

Fähigkeit mit Lohn über die Runden zu kommen, verharrt auf sehr niedrigem Niveau

Die Entwicklung des Indikators, der die Fähigkeit abbildet, mit dem Lohn über die Runden zu kommen, erscheine dagegen realistischer, denn er verbessert sich nur um einen Indexpunkt (von -6 auf -5) und bleibt damit auf einem der niedrigsten Werte seit Beginn der Erhebungen.

Die erwartete Entwicklung der finanziellen Situation der Familie verschlechtert sich nicht. Mit einem Anstieg um 2 Indexpunkte beschreibt dieser Wert eher eine stationäre Situation, die sich auf einem akzeptablen Niveau einpendelt, aber zwangsläufig zu Verschiebungen im Konsumverhalten führt.

Die Indikatoren des Arbeitsmarktes verbessern sich weiter und spiegeln die derzeitige Expansionsphase der Arbeitsnachfrage durch die Wirtschaftsdynamik wider.

Die einzelnen Branchen im Überblick

Landwirtschaft – Zuversicht steigt, Brieftasche wird zunehmend leerer
„Wachsende Zuversicht, zunehmend leerere Brieftaschen“, so könnte man das Bild für mehrere, wenn auch nicht für alle, Wirtschaftssektoren beschreiben. In der Tat ist die Landwirtschaft einer der Branchen, für den diese Aussage besonders zutrifft, heißt es vom AFI.

Mit einem Vertrauensindex, der von 3 auf 8 Indexpunkte ansteigt, und einer Sparfähigkeit der Familien, die von minus 9 auf minus 11 Indexpunkte sinkt, spiegelt sich eine Situation, die wahrscheinlich als Erleichterung für die Anpassung an eine kritische, aber derzeit überwindbare Situation, interpretiert werden kann. Der Indikator, der die finanzielle Situation der Familie abbildet, verbessert sich von minus 7 auf minus 5, bleibt aber auf dem Niveau von Dezember 2021.


Verarbeitendes Gewerbe – Einsparkapazitäten auf historischem Tiefpunkt
Das Vertrauen der Arbeitnehmer im verarbeitenden Gewerbe in die Entwicklung der Südtiroler Gesamtwirtschaft hat sich leicht verbessert und liegt mit minus 6 Indexpunkten immer noch auf einem kritischen Niveau, 4 Indexpunkten über jenem der letzten Umfrage und damit knapp über dem Niveau vom März 2020. Im verarbeitenden Gewerbe zeigen fast alle Indikatoren wenig beruhigende Werte.

Die Fähigkeit, mit dem Lohn über die Runden zu kommen, erreicht den niedrigsten Stand seit Beginn der Erhebungen (minus 15 Indexpunkte), und die Entwicklung der Sparfähigkeit der eigenen Familie (minus 12 Indexpunkte) erreicht einen historischen Tiefstand, während die beschäftigungsbezogenen Indikatoren (erwartete Beschäftigungsentwicklung, Risiko den Arbeitsplatz zu verlieren, Schwierigkeiten einen ähnlichen Arbeitsplatz zu finden) mehr oder weniger stabil bleiben.

„Es ist offensichtlich, dass die Löhne angesichts eines leicht zugänglichen Arbeitsmarktes, geprägt von einer starken Nachfrage, entgegen den Erwartungen nur schwer mit den Lebenshaltungskosten Schritt halten“, heißt es vom AFI.

Baugewerbe – Sparleistung seit einem Jahr im freien Fall
Die von den Lohnabhängigen des Baugewerbes erwartete Entwicklung der wirtschaftlichen Lage in Südtirol erreicht einen Index von minus 4, dieser steigt um 8 Punkte an. Trotz leichter Verbesserung erreicht der Indikator allerdings nie das Niveau, welches vor der Pandemie registriert wurde.

Die Indikatoren betreffend die Entwicklung der Arbeitslosigkeit bzw. das aktuelle Risiko, den Arbeitsplatz zu verlieren, verbessern sich leicht. Gleichzeitig wird alles, was die wirtschaftliche Situation der Familien betrifft, als kritisch eingestuft.

Die Sparfähigkeit der Familie sinkt auf einen noch nie dagewesenen Wert von -20 Indexpunkten ab, die Fähigkeit, mit dem Lohn über die Runden zu kommen, verschlechtert sich und erreicht seinen historischen Tiefstwert (minus 13 Indexpunkte).

Handel – Sparfähigkeit auf einem kritischen, aber stabilen Niveau
Die Entwicklung der wirtschaftlichen Lage in Südtirol wird von den Arbeitnehmern des Handels als günstiger bewertet: Dieser Indikator steigt von minus 1 auf 3 Indexpunkte an. Der Index bleibt allerdings unter den Werten vor der Pandemie.

Im Gegensatz zu den anderen Sektoren sind die wirtschaftlichen Indikatoren, die die wirtschaftliche Situation der Familie beschreiben, weniger kritisch bzw. sie verschlechtern sich zumindest nicht.

Die erwartete Entwicklung der Sparfähigkeit bewegt sich von minus 14 auf minus 13 Indexpunkte, die Fähigkeit, mit dem Lohn über die Runden zu kommen, von minus 13 auf minus 12 und die erwartete Entwicklung der finanziellen Situation der eigenen Familie bleibt konstant bei minus 5. Die erwartete Schwierigkeit, einen gleichwertigen Arbeitsplatz zu finden, geht zurück und verbessert sich von 18 auf 10 Indexpunkte.


Gastgewerbe – Spürbarer Optimismus in Beherbergung und Gastronomie
Das Vertrauen der Lohnabhängigen im Gastgewerbe in die Entwicklung der Südtiroler Wirtschaft erreicht 20 Indexpunkte und liegt damit nahe am Rekordhoch von 21 Punkten im September 2018.

Die Aussichten für den Abbau von Arbeitslosigkeit verbessern sich deutlich - dieser Indikator steigt von 4 auf 7 Indexpunkte - während die Schwierigkeit, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu finden, nach wie vor moderat ausfällt (der Index bewegt sich von 34 auf 32 Indexpunkten).

Die Indikatoren, die die wirtschaftliche Lage der Arbeitnehmenden in diesem Sektor beschreiben zeigen keine auffälligen Verbesserungen, sondern bleiben diese größtenteils unverändert. Der Indikator, der die Fähigkeit abbildet, mit dem Geld über die Runden zu kommen, bleibt ebenfalls konstant (Indexwert: minus 8). Der Indikator, der die Fähigkeit zum Sparen widerspiegelt, verbessert sich auf minus 2, er erreicht ohne jedoch noch nicht das Niveau vor der Pandemie.

Öffentlicher Sektor – Job wechseln schwergemacht
Das Vertrauensklima in diesem Sektor hat sich seit Dezember im dritten Quartal in Folge verbessert, trotz einer objektiv schwierigen Situation für die Arbeitnehmer, die mit starken Preissteigerungen und mit neuen internationalen Szenarien konfrontiert sind.

Wahrscheinlich spiegelt auch in diesem Fall der höhere Wert des Vertrauensindexes in der Wirtschaft eine Situation der Anpassung an Umstände wider, die nicht gerade vorteilhaft sind. Diese Interpretation ist gestützt vom Einbruch der Fähigkeit, mit dem Lohn über die Runden zu kommen. Der Index ist auf minus 7 abgesunken, ein Niveau, das seit Beginn der Umfrage noch nie erreicht wurde.

Der Index betreffend die erwartete Entwicklung der Sparfähigkeit bleibt bei minus 6 und damit in den letzten 9 Monate nahezu konstant. Die Rahmenbedingungen bleiben gut, einen gleichwertigen Arbeitsplatz zu finden


Private Dienstleistungen – Der Dienstleistungssektor ist pessimistischer
Der Dienstleistungssektor ist der einzige Sektor, der einen negativen Trend hinsichtlich der erwarteten Entwicklung von Südtirols Wirtschaft verzeichnet. Der entsprechende Index verschlechtert sich leicht von minus 4 auf minus 5.

Die Fähigkeit, mit dem Lohn über die Runden zu kommen, verschlechtert sich auf minus 14 Indexpunkte (ein historisches Tief), und der Index, der die Fähigkeit abbildet, Geld auf die hohe Kante legen zu können, sinkt auf minus 10 ab.

Die finanzielle Situation der eigenen Familie bleibt mit einem Index zwischen minus 4 und minus 3 mehr oder weniger stationär. Die Indizes betreffend die Entwicklung der Arbeitslosigkeit und das Risiko, den Arbeitsplatz zu verlieren, bleiben nahezu unverändert, was darauf hindeutet, dass die Ängste nicht auf ein beschäftigungsbezogenes Risiko, sondern eher auf den wirtschaftlich-finanziellen Aspekt zurückzuführen sind.

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