Mittwoch, 28. Juni 2023

Nutztiere auf der Alm: Wenn der Wolf kommt, sind die Folgen schwerwiegend

Tierarzt Dr. Helmuth Gufler ist Spezialist für das Gesundheitsmanagement kleiner Wiederkäuer. Er schlüsselt auf, welche Bedeutung die Almen für Südtirol haben und was sich im Land ändern würde, müssten die Bauern wegen der unkontrollierten Ausbreitung des Wolfes die Weidewirtschaft aufgeben.

Düstere Wolken ziehen über der Almwirtschaft auf. - Foto: © A. Sparer

Südtirol ist 740.000 Hektar groß. 110.000 Hektar davon sind Almflächen – beachtliche 15 Prozent der Landesfläche. Es sind mehr als 1737 Almen. Zu 2 Dritteln sind sie in Privatbesitz der Bauern, Almen sind ein wesentlicher Bestandteil landwirtschaftlicher Betriebe.

In Südtirol wurden 2020 126.218 Rinder, 38.800 Schafe, 26.763 Ziegen sowie 7600 Pferde gehalten. Von diesen wurden 44.777 Rinder (35,5 Prozent), 27.455 Schafe (70 Prozent), 12.379 (46 Prozent) Ziegen, 1498 Pferde (20 Prozent) von etwa Mai bis November auf Südtiroler Almen gebracht.

Tierarzt Dr. Helmuth Gufler



Zusätzlich weiden jährlich 5700 Südtiroler Tiere in Österreich sowie über 3800 Tiere in den Nachbarprovinzen auf den Almen.

Dieses Schäfchen ist dem Wolf im Vorjahr auf der Kuppelwieser Alm im Ultental zum Opfer gefallen.



Nicht nur Landschaftspflege und der wirtschaftliche Aspekt sind von Bedeutung – aus veterinärmedizinischer Sicht ist es vor allem die Tiergesundheit.

Die Zeit auf der Alm ist wichtig für die Gesundheit der Weidetiere

Die Möglichkeit der Bewegung in freier Natur aktiviert Verdauung, Herz-Kreislauf- und Immunsystem. Durch die Sonneneinstrahlung mit einhergehenden Aktivierung von Vitamin D wird das Immunsystem zusätzlich aktiviert. Dadurch sind die im Freien gehaltenen Tiere krankheitsresistenter und benötigen keine oder kaum Medikamente.

Kaum bessere Verhältnisse kann man sich für Weidetiere vorstellen, als sie sie auf den Almen finden.



Ein weiterer wichtiger gesundheitsfördernder Aspekt ist die Möglichkeit der Aufnahme von besten Kräutern auf den Almen, mitunter einigen Heilkräutern. Die von diesen Tieren gewonnenen Lebensmittel (Fleisch, Milch, Käse etc.) sind dementsprechend von höchster Qualität, und werden von Konsumenten sehr geschätzt.

Autochthone Rassen perfekt an Südtiroler Verhältnisse angepasst

Die in Südtirol hervorgegangenen autochthonen Tierrassen (Villnösser Brillenschaf, Tiroler Steinschaf, Schnalser Schaf, Pustertaler Sprinze, Passeirer Gebirgsziege, Tiroler Grauvieh etc.) haben sich in Jahrhunderten bestens an die klimatischen und geologischen Gegebenheiten angepasst. Ihre Robustheit und Trittsicherheit ermöglicht es ihnen, steile und felsige Almflächen zu beweiden, die andere Tierrassen der Tiefebene nicht in der Lage wären zu nutzen.

Würden diese bodenständigen Tierrassen verlorengehen, wären die Folgen weitreichend: einerseits ein direkter Verlust der genetischen Vielfalt (Biodiversität) der Tierwelt sowie indirekt ein Verlust der genetischen Vielfalt der durch die Beweidung dieser Tierrassen ermöglichten Entfaltung der Pflanzenwelt in diesen typischen Almgebieten.

Auch für die meisten Wanderer ist es eine Besonderheit, gepflegte Almen mit grasenden Tieren zu bewundern.

Was passiert, wenn die Bauern die Almen aufgeben?

Würde nun die Almwirtschaft in Südtirol aufgelassen, müssen die Tiere im landwirtschaftlichen Betrieb bleiben.

Für Südtirol würde dies konkret bedeuten, dass ca. 45.000 Rinder sowie ca. 40.000 Schafe und Ziegen, die normalerweise jedes Jahr auf die Alm gebracht werden, im Stall oder bestenfalls auf der Heimweide bleiben müssten, wenn der Hof über eine solche verfügt.

In jenen Betrieben, welche die Möglichkeit der Koppelhaltung bzw. der Heimweide haben, haben die Tiere zu mindestens eine beschränkte Bewegungsmöglichkeit und ein einigermaßen annehmbares Umgebungsklima.

Foto: © APA/dpa / Andrea Warnecke



Bei der Koppelhaltung weiden die Tiere jedoch auf relativ engem Raum und die Gefahr der Aufnahme von Parasiten aus dem Boden ist dadurch deutlich erhöht. Häufigere Entwurmungskuren sind somit unumgänglich, um Erkrankungen durch Parasiten entgegenzuwirken. Dies kann jedoch zu möglichen Resistenzbildung führen – bestimmte Entwurmungsmittel wirken nicht mehr.

Viele Bauern müssten die Tierhaltung aufgeben

Wegen der Kleinstrukturiertheit der landwirtschaftlichen Betriebe in Südtirol haben die wenigsten Höfe die Möglichkeit der Heimweide, sodass letztendlich die permanente ganzjährige Stallhaltung übrigbleiben würde. Dies wäre aus veterinärmedizinischer Sicht ein nicht zu begrüßender Schritt rückwärts.

Die indirekten Folgen für die Betriebe in Südtirol wären vielfach die Betriebsauflassung: Viele Verpflichtungen könnten die Bauern ohne die Alm nicht einhalten. Dazu zählen etwa die Tierhaltungsverordnung, GVE Besatz oder der Gewässerschutz. Es stehen nicht genügend Futterflächen zur Verfügung.

Dieser Laufstall verfügt über Außenliegeboxen. - Foto: © Südtiroler Landwirt



Aus tierärztlicher Sicht kommen zusätzliche Probleme für die Betriebe hinzu, da Tiere nicht dauerhaft angebunden sein dürfen. Folglich müssten alle Betriebe auf Laufstallhaltung umstellen. Eine Umstellung auf Laufstallhaltung ist in Berggebieten, vor allem wegen der klimatischen Verhältnisse und den geographischen Gegebenheiten jedoch auch kritisch zu betrachten (Nörderseite, Dauerfrost, Auslaufmangel).

Kleinbäuerliche Strukturen würden verschwinden

Es besteht die Gefahr, dass die kleinbäuerlichen Strukturen verschwinden werden, und mit ihnen ebenso die naturnah produzierten Lebensmittel. Gemähte gepflegte Wiesen und Landschaften könnten zur Seltenheit werden, was sich vermutlich nachteilig für den Tourismus auswirken könnte, da dieser in sämtlichen Prospekten vor allem die reizvolle Landschaft bewirbt.

Übrigbleiben werden vermutlich die großen Betriebe bzw. die Bewirtschaftung von Gunstlagen, und ehemals bewirtschaftete nachteilige Gebiete werden letztendlich verbuschen.

Die Nachteile der ganzjährigen Stallhaltung

Die ganzjährige Stallhaltung stellt wegen der eingeschränkten Bewegungsaktivität keine tiergerechte Haltungsform dar und steht im Widerspruch zu gültigen Tierhaltungsverordnungen.

Durch die permanente Stallhaltung sind die Tiere krankheitsanfälliger, insbesondere Erkrankungen der Atemwege und der Haut sind die Folge.

Durch die Krankheitsanfälligkeit müssen die Tiere öfters behandelt werden, was einen erhöhten Medikamenteneinsatz mit sich bringt.

Ein erhöhter Medikamenteneinsatz kann zu Resistenzbildungen führen mit all seinen negativen Folgen für Tier, aber auch für den Menschen.

Der verstärkte Einsatz von Medikamenten steht im klaren Widerspruch zur gegenwärtigen wissenschaftlichen Auffassung einer Reduzierung von Medikamenten und zur Forderung der Produktion von möglichst unbehandelten Lebensmitteln.



Dr. Helmuth Gufler, Tierarzt und Diplomate of the European College for Small Ruminant Health Management, hat für STOL eine 3-teilige Serie zum Thema Wolf und Weidetierhaltung verfasst. Sie finden die Texte hier gesammelt.

stol

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