Dienstag, 25. Juli 2023

Südtiroler in Rhodos: „Kinder dachten, sie würden Oma und Opa nie wieder sehen“

Mehrere Südtiroler Urlauber haben sich dieser Tage auf Rhodos inmitten der Feuerkatastrophe wiedergefunden – auch eine Familie aus Schenna musste ihr Hotel mit dem Allernötigsten hastig verlassen. Es folgte ein Fußmarsch in Chaos, Ungewissheit und Angst. „Meine beiden Kinder weinten, weil sie dachten, sie werden Oma und Opa nie wieder sehen“, erzählt die Mutter Alexandra, nachdem ihre Familie am Montag unversehrt zurückgekehrt ist.

Der Urlaub in Kiotari auf Rhodos wurde für die Familie von Alexandra zum Horror. - Foto: © APA/afp / SPYROS BAKALIS

Von:
Matteo Tomada
Alexandra war mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern im Alter von 6 und 12 Jahren im Swimmingpool eines Hotels in Kiotari im Süden der Insel, als die riesigen Rhodos?utm_campaign=click-on-tag' target='_blank'>Brände auf Rhodos ihre Unterkunft erreichten. Was ihre Familie danach erlebte, waren „Zustände wie im Krieg“, sagt Alexandra.

Eigentlich hätte es ein ganz normaler und entspannter Familienurlaub werden sollen. „Wir haben zwar schon bei der Ankunft in der Nacht auf vergangenen Dienstag die Brände bemerkt, dachten uns aber nicht viel dabei, weil sie noch weit von unserem Hotel weg waren. Auch nachdem wir die dunklen Rauchwolken am Himmel gesehen hatten, versuchten wir noch, unsere Kinder zu beruhigen. Erst als unsere Kleider voller Asche waren, merkten wir, dass da etwas ganz und gar nicht in Ordnung war“, erzählt die Mutter.


Die schwarze Rauchwolke über dem Hotel wurde immer größer.

Hotelangestellte waren hektisch

„Am Samstag in der Früh waren wir gerade beim Frühstücken, als der Strom und das Wasser andauernd ausfielen. Die Hotelangestellten waren hektisch und haben untereinander viel gesprochen. Etwas wussten sie.“ Die Familie war verunsichert. Da ihr Urlaub aber bald zu Ende ging und der Flug bereits gebucht war, blieben sie auf der Insel.


Hier war die Welt noch in Ordnung. Alexandra am Strand. - Foto: © privat




„Wir waren gerade im Swimmingpool, als am Samstag gegen 12 Uhr ein Angestellter des Hotels kam und uns sagte, wir sollen einen Mund- und Nasenschutz aufsetzen oder ins Hotel gehen. Das Schwimmbad war da bereits voller Asche“, berichtet Alexandra. Die Familie ging in ihr Hotelzimmer zurück und wusste nicht mehr, was zu tun war. „Wir haben uns in dem Moment mit anderen Hotelgästen ausgetauscht. Das hat geholfen.“


Plötzlich sahen wir riesige Flammen, die nicht mehr als 40 Meter von uns entfernt waren.
Alexandra



Ihr Reiseveranstalter, den Alexandra kontaktiert hatte, wusste auch nicht, was zu tun war. Die Familie blieb deswegen bis auf weitere Anweisungen im Hotel. Sie wusste von anderen Gästen, dass sie ihre Unterkunft erst verlassen sollten, wenn Feueralarm gegeben würde. Das sei aber nie passiert, sagt Alexandra. Unruhig wandte sie sich darum an die Rezeption.

„Dort haben sie mich gefragt, ob ich Kinder habe. Nachdem ich die Frage bejaht habe, sagte mir die Frau an der Rezeption, ich solle das Nötigste packen, Dokumente und Flugtickets mitnehmen und an den Strand gehen“, sagt Alexandra.


Viele liefen zum Strand und warteten dort so wie die Familie von Alexandra auf Anweisungen. - Foto: © privat

Mit Mundschutz und Gepäck am Strand


Die Familie befolgte die Anweisungen der Rezeptionistin, packte das Nötigste und ging zum Strand. Dort standen sie und ihre Familie rund eine halbe Stunde mit Gepäck und Mundschutz, wie während Corona. Auch andere Leute wie sie waren am Strand. Niemand wusste, was zu tun war.


Es gab geschwächte schwangere Frauen und Menschen, die sich immer wieder übergeben mussten.
Alexandra



„Plötzlich sahen wir riesige Flammen, die nicht mehr als 40 Meter von uns entfernt waren. Ich sagte meiner Familie: ,Jetzt gehen wir!‘“, erzählt Alexandra. „Eine Angestellte unseres Hotels riet uns, einfach von der Rauchwolke wegzugehen, das sei der einzig sichere Weg. Es gebe etwas weiter ein Hotel, wo wir was zum Trinken bekämen. Wir machten uns sofort auf den Weg.“


„Die Flammen waren riesig“, sagt Alexandra. - Foto: © APA/afp / SPYROS BAKALIS




Hunderte Menschen waren zu Fuß unterwegs, einige in Bikini, weil sie vom Feuer am Strand überrascht worden waren und nichts bei sich hatten. Nach der Erzählung von Alexandra gab es geschwächte schwangere Frauen und Menschen, die sich immer wieder übergeben mussten. Ihre Familie kam aber ohne größere Probleme voran. „Unsere Kinder waren wirklich brav“, sagt die Mutter aus Schenna. „Nur kurz haben sie geweint und gesagt, sie werden Oma und Opa wohl nie mehr sehen.“

Wasser, aber kein Essen für die Kinder

„Irgendwann haben wir das besagte Hotel erreicht und wir haben dort auch wie versprochen was zu trinken bekommen. Etwas zu essen für unsere Kinder bekamen wir aber nicht“, erzählt Alexandra. „Dort haben wir gewartet und gewartet, bis irgendwann Busse gekommen sind, die uns mitgenommen haben. Diese haben uns zu irgendeiner Schule gebracht.“


Die Einheimischen waren sehr hilfsbereit. - Foto: © APA/afp / ANGELOS TZORTZINIS




In der Schule gab es keinen Strom und kein Wasser. Schlimm war für die Familie auch, dass es so gut wie keinen Empfang gab und sie gar nicht wusste, was wirklich vor sich ging und auch niemanden anrufen konnte. Die Familie saß auf dem Fußboden und wartete ab. Kurz sei auch das Militär vorbeigekommen.

Leute schlugen sich, um in den Bus zu steigen

„Gegen 23.30 Uhr haben sie uns gesagt, wir sollen alle wieder zurück auf den Strand. Dort warteten Busse auf uns. Leute schlugen sich, um einsteigen zu können. Wir sind in einen Bus eingestiegen und wussten nicht, wohin er fährt. Mir war es aber wichtig, dass wir mit den Kindern einfach wegkommen von dem Ort“, erzählt Alexandra.


Immer wieder sah die Familie Löschhubschrauber im Einsatz. - Foto: © APA/afp / GIORGOS KONTARINIS/EUROKINISSI




Der Bus, der total überfüllt war, brachte die Familie in den Norden der Insel. Dieser Teil sei kaum von den Waldbränden betroffen, berichtet Alexandra. Dort wurden sie in ein Hotel gebracht, wo die Köche noch um 2.30 Uhr in der Früh für die vielen Geflüchteten etwas kochten.

„Danach konnten wir endlich schlafen gehen. Einige haben in der Lobby geschlafen, einige am Strand. Wir haben im Spa-Bereich des Hotels auf dem Boden übernachtet. 2 Tage harrten wir dort aus. Uns ging es aber relativ gut – andere Familien mussten in Turnhallen schlafen“, so Alexandra.

Das Nachbarhotel stand nach dem Brand nicht mehr

„Ich konnte am Sonntagnachmittag in unser ursprüngliches Hotel zurückgehen und unser restliches Gepäck holen. Das ganze Hotel roch verbrannt und ich musste es schnell wieder verlassen. Aber es stand noch. Nur ein paar Kinderrutschen und Bungalows waren abgebrannt. Das Hotel dahinter hingegen stand nicht mehr.“

Am Montag in der Früh fuhr die Familie mit dem Taxi zum Flughafen und von dort mit dem Flugzeug nach München.


Das Feuer hinterließ eine Spur der Verwüstung, wie Aufnahmen von Alexandra zeigen. - Foto: © privat

Der Taxifahrer hat sich mehrmals für die Brände entschuldigt


Rückblickend kann Alexandra sagen, dass sie die Odyssee auch überstanden hat, weil ihre Familie zusammengehalten hat. „Hätte ich mich von meinem Mann trennen müssen, wie das einige auf er Insel berichtet hatten, hätte ich das unmöglich geschafft“, sagt Alexandra. Sie erinnerte sich auch gerne an die hilfsbereiten Einwohner zurück. „Sie haben Wasser verteilt und den Geflüchteten eine Schlafgelegenheit geboten. Die Einwohner selbst sind manchmal verzweifelter gewesen als viele Touristen.“

„Der Taxifahrer hat sich auf der Fahrt zum Flughafen mehrfach für die Situation auf der Insel entschuldigt. Er tat uns sehr leid, weil wir wussten, dass er nichts dafür konnte“, sagt Alexandra gerührt.


Eine Waldfläche nach dem Brand. - Foto: © APA/afp / SPYROS BAKALIS




„Wer etwas dafür kann, sind die Brandstifter, die das Feuer gelegt haben, wie mir Einwohner gesagt haben. Es hat nämlich angefangen, an 3 Orten gleichzeitig zu brennen. Feuerwehrleute und Polizei wissen das auch“, sagt die Mutter.

Wunderschöne Insel

Laut Alexandra verlief die Evakuierung der Touristen völlig planlos. „Es gab keine Polizei oder Behörde, die uns irgendwie geholfen hätte. Ohne die Hotelangestellten, die hilfsbereiten Einwohner, die netten Gäste und unser Meraner Tourismusbüro wäre es schlimm ausgegangen. Und wir hatten großes Glück, dass wir am Tag der Evakuierung im Hotel waren und nicht am Strand. Wir wären sonst ohne nichts auf der Flucht gewesen.“


Die Flammen in Rhodos wüten noch immer. - Foto: © APA/afp / SPYROS BAKALIS


„Die Insel Rhodos ist wunderschön und die Leute sind da total freundlich. Unser Urlaub war auch bis auf die letzten Tage schön. Dass wir aber so etwas erleben, hätte ich mir nie vorstellen können. Meine Tochter hat gesagt, sie fährt nie mehr nach Griechenland.“

Auch andere Südtiroler Familien waren im Urlaub auf Rhodos und wurden von den Bränden überrascht. Hier lesen Sie eine Geschichte von einer Familie, die ohne Gepäck evakuiert wurde. Und hier lesen Sie, was ein Meraner in Rhodos erlebt hat.

Lesen Sie hier mehr zu den Bränden in Griechenland und Italien.

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