Freitag, 6. Oktober 2023

„Meister der Einsamkeit“ erhält Literaturnobelpreis: Südtiroler Reaktionen

Düstere und von Stille geprägte Theaterstücke haben Jon Fosse berühmt gemacht. Seinen Texten haftet oft etwas Melancholisches und Mystisches an. Der Norweger hat eine Fülle an Werken geschrieben und ist vielfach ausgezeichnet worden. Sein erstes Drama auf Deutsch, „Der Name“, brachte ihm den Ibsen-Preis und den österreichischen Theaterpreis ein. Gestern erhielt er den Literaturnobelpreis. Nach an Annie Ernaux vor einem Jahr geht die prestigeträchtige Auszeichnung erneut an einen Weltliteraten.

Jon Fosse wurde am 29. September 1959 im norwegischen Hagesund geboren und ist am Hardangerfjord aufgewachsen. Heute lebt er nicht nur in Norwegen, sondern aufgrund seiner dritten Ehe mit einer slowakischen Wissenschafterin zeitweise auch im niederösterreichischen Hainburg an der Donau. Veröffentlichte er zu Beginn seiner Karriere allen voran Lyrikbände und Romane, gilt er mittlerweile als einer der meistgespielten Theaterautoren. Seine Werke wurden in mehr als 40 Sprachen übersetzt. - Foto: © ANSA / Hakon Mosvold Larsen

Fosse war zuletzt zwar hoch gehandelt worden, Favoritin der Buchmacher war allerdings die unter dem Pseudonym Can Xue schreibende 70-jährige Chinesin Deng Xiaohua gewesen. Der 64-Jährige erhalte den Nobelpreis für seine innovativen Theaterstücke und seine Prosa – damit gebe er „dem Unsagbaren eine Stimme“, sagte der Ständige Sekretär der Akademie, Mats Malm , bei der Preisbekanntgabe in Stockholm. Er ist erst der vierte Norweger, der den Literaturnobelpreis erhält – und der erste seit 95 Jahren. Aus dem skandinavischen Land wurden bislang Sigrid Undset (1928), Knut Hamsun (1920) und Bjørnstjerne Bjørnson (1903) ausgezeichnet.

Das Oeuvre

Das Oeuvre Fosses umspannt unzählige Gattungen, von Theaterstücken über Romane bis zu Kinderbüchern und Übersetzungen. Als einer „der anerkanntesten und meistgespielten Theaterautoren unserer Zeit“ verbinde er „eine Verwurzelung in der Sprache und Natur seiner norwegischen Herkunft mit künstlerischen Techniken der Moderne“, erläuterte Literaturwissenschafter und Akademiemitglied Anders Olsson im Anschluss an die Bekanntgabe und fuhr fort: „In seiner radikalen Reduktion der Sprache und der dramatischen Handlung legt er den Kern menschlicher Ängste und Ambivalenzen offen. Durch seine Fähigkeit, den menschlichen Orientierungsverlust hervorzurufen und dadurch paradoxerweise den Zugang zu einer tieferen Erfahrung nahe der Göttlichkeit zu ermöglichen, gilt Fosse nicht nur im zeitgenössischen Theater als Innovator.“ Zu Fosses „Wahlverwandtschaften“ gehören große Namen wie Samuel Beckett, Thomas Bernhard oder Georg Trakl . Seine mehr als 30 Stücke waren auf Bühnen in der ganzen Welt in bisher über 1000 Inszenierungen zu sehen.

Zuletzt waren es aber vor allem seine Romane, die das deutsche Leserpublikum in den Bann zogen. Sein Prosawerk umfasst unter anderem „Melancholie“, „Morgen und Abend“ und „Das ist Alise“. 2016 erschien seine „Trilogie“, ein Dreiklang von Erzählungen, in dem es anhand des Paares Alida und Asle um Liebe und Verletzlichkeit geht.

Die Reaktionen aus Südtirol:

Elisabeth Thaler, Dramaturgin Vereinigte Bühnen Bozen


Elisabeth Thaler


„Diese herausragende Auszeichnung für einen großartigen Theaterautor zeugt davon, dass sich die Jury nicht nur vor Jon Fosse verbeugt, sondern auch vor dem Szenischen Schreiben und damit Hand in Hand vor dem Theater, das die geschliffene Sprache, die zutiefst menschlichen Figuren und die mystische Atmosphäre seiner Stücke zum Leben erweckt. Zeitgenössische Texte in Szene zu setzen und sie dem Publikum künstlerisch zu präsentieren, galt und gilt an unserem Theater als Wertschätzung für die Schreibenden und ihren Blick auf das Wesentliche im Hier und Jetzt. In diesem Sinne ist dieser Literaturnobelpreis für alle Theaterliebhaber ein Ansporn, weiterhin in eine Welt einzutauchen, die uns im Innersten alle berührt und nicht mehr ganz loslässt, so wie die Texte von Jon Fosse.“

Daniel Theuring, Dramaturg Vereinigte Bühnen Bozen


Daniel Theuring


„Als ich hörte, dass Jon Fosse den Nobelpreis für Literatur bekommt, war das für mich wie eine Reise in die Vergangenheit. Dramaturgie in München studierend, bekamen wir Studierenden die Chance, in den Münchner Kammerspielen Hauptproben besuchen zu dürfen. Und da hatte ich 2001 das Glück, 'Traum im Herbst', inszeniert von Luc Perceval, zu erleben. Strukturalistisch bis ins Detail, bühnen-, kostümbildnerisch und inszenatorisch exakt durchkomponiert, erinnere ich mich über 20 Jahre später immer noch an diese Inszenierung. Gleich einem Strindberg oder Ibsen versteht es Fosse, szenisch Skalpell messerscharf unter die Haut zu gehen. Sein feiner Stil durchleuchtet gnadenlos unsere Gesellschaft, Beziehungen; unseren Zeitgeist. Ein Preis, der Literatur und Theater gleichermaßen auszeichnet. Bravo!“

Peter Silbernagl, Direktor Südtiroler Kulturinstitut

Peter Silbernagl


„Wir freuen uns, dass mit Jon Fosse einer der wichtigsten Gegenwartsdramatiker den Literaturnobelpreis erhält. In unserem Gastspielprogramm konnten wir seine Stücke 'Traum im Herbst' in einer Inszenierung der Münchner Kammerspiele sowie 'Todesvariationen' aus dem Repertoire des Schauspielhauses Bochum zeigen. Wer sie gesehen hat, dem sind sie unvergesslich. Jon Fosse ist ein großer Meister darin, Menschen in ihrer Verletzlichkeit zu zeigen, menschliche Beziehungen bis ins kleinste Detail hin auszuloten. Es sind karge Stücke, in denen Schauspieler wie Dagmar Manzel, Barbara Nüsse oder Stephan Bissmeier, die bei diesen Produktionen auf der Bühne standen, erst recht ihre ganze Kunst aufbieten können. Dieser Nobelpreis ist für mich auch eine Auszeichnung für das zeitgenössische Theater. Und ich hoffe, er macht Lust auf Theater. Dass die Bühnen nun vermehrt Stücke von Fosse zeigen werden, ist ein Gewinn. Vielleicht findet sich die eine oder andere herausragende Inszenierung dann in unserer Programmauswahl wieder.“

stol

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