Dienstag, 8. August 2023

Stardirigent Manfred Honeck: „Ich bete vor jedem Konzert“

Manfred Honeck ist ein viel gefragter Dirigent und auf den großen Bühnen der Welt zu Hause. Er ist bekannt dafür, dass er mit seinem Glauben offen umgeht. „Ich habe es mir angewöhnt, jeden Tag zu beten. Ich pflege die Beziehung zu Gott“, sagt er. Am 11. August ist Manfred Honeck zu Gast in Bozen und dirigiert das Jugendorchester der Europäischen Union.

Manfred Honeck gilt als einer der weltweit führenden Dirigenten. Im Rahmen des Bolzano Festivals Bozen dirigiert er am 11. August das Jugendorchester der Europäischen Union.

Von Martina Rainer

STOL: Sie sind in einer Familie mit 9 Kindern aufgewachsen. Inwieweit hat Sie Ihre Kindheit geprägt?
Manfred Honeck: Die Kindheit prägt grundsätzlich jeden Menschen. Für meinen Beruf und meine spätere Berufung war von großer Bedeutung, dass mein Vater die Überzeugung hatte, dass jedes Kind ein Instrument erlernen sollte. Wir haben in ärmlichen Verhältnissen gelebt. Es gab keinen Fernseher, wir waren ständig in der Natur, wir haben im Sommer immer in den Bergen gelebt – das alles hatte großen Einfluss auf mein Leben und meine Entscheidung für den Musikberuf.

STOL: Hat Ihr Vater somit den Grundstein für Ihre Leidenschaft für die Musik und das Dirigieren gelegt?
Honeck: Wenn man ein Instrument erlernt, heißt es noch lange nicht, das man den Beruf des Musikers ergreifen wird. Meine Mutter ist früh gestorben, das war 1965, ich war 7 Jahre alt. Mein Vater ist mit uns ein paar Jahre später nach Wien gezogen. Er wollte uns Kindern den bestmöglichen Musikunterricht zukommen lassen. Das war entscheidend. Ich habe in Wien viel gelernt. Ich bin oft in Konzerte und in die Oper gegangen. Einmal habe ich das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker besucht. Ich war noch klein und hatte einen Stehplatz. Da hat mich der Billeteur, der Mitleid mit mir hatte, weil ich zwischen den Erwachsenen nichts sehen konnte, aus der Masse herausgefischt und in die vorderste Reihe gestellt. Willi Boskovsky hat das Orchester damals dirigiert. Das war der Moment, in dem ich dachte, dass ich gern auf der Bühne stehen würde – entweder als Orchestermusiker oder als Dirigent.

STOL: Es ist nachzulesen, dass Sie vor jedem Konzert beten. Wie wichtig ist für Sie der Glaube?
Honeck: Der Glaube ist für mich das Zentrum. Stelle Gott in den Mittelpunkt deines Lebens, alles andere wird dir gegeben werden: Ich versuche nach dieser Maxime zu leben – mit allen Schwankungen, die es auch bei jedem Menschen gibt. Der Glaube ist für mich das Allerwichtigste. Das ist auch der Grund, warum ich jeden Tag und auch vor jedem Konzert bete.

Ich glaube, dass die Musik göttlich ist. Je tiefer der Glaube geht, desto mehr wird das Verständnis für die Musik vertieft.
Manfred Honeck


STOL: Sie gehen mit Ihrem Glauben offen um. Wie sind die Reaktionen Ihres berufliches Umfeldes?
Honeck: Ich versuche, den Glauben nicht zur Schau zu stellen. Aber ich stehe dazu und es ist für mich ganz wichtig, diesen Glauben zu leben und selbst auch so zu leben, wie es der Glaube von uns verlangt. Ich kümmere mich nicht darum, was andere Menschen denken. Inzwischen ist es aber auch so, dass mich oft Musiker fragen, ob sie mit mir beten dürfen. Das finde ich sehr schön.

STOL: Wirkt sich Ihr Glaube auf Ihre musikalische Handschrift aus?
Honeck: Ich glaube, dass die Musik göttlich ist. Je tiefer der Glaube geht, desto mehr wird das Verständnis für die Musik vertieft. Die Menschen spüren auch, dass die Haltung des Dirigenten, der im Glauben steht, eine wichtige Komponente ist. Natürlich muss man sich auf jedes Dirigat, auf jede Partitur gewissenhaft vorbereiten. Aber für den letzten Schliff, für die letzte Eingebung, die Vision und die Kreativität hilft mir persönlich der Glaube sehr viel. Es kommen Gedanken, die durch den Glauben in andere Welten führen. Das ist für die Kreativität enorm wichtig. Musik ist ohne Kreativität unmöglich. Man kann alles technisch sehr gut herunterdirigieren oder herunterspielen, aber die Zuhörer merken sehr wohl, ob etwas dahinter gedacht und gefühlt wird.

STOL: Sie sind Vater von 6 Kindern. Welche Rolle spielt der Glaube in Ihrer Familie?
Honeck: Der Glaube ist in unserer Familie stark verankert. Wir versuchen, das zu leben, was der Glaube besonders verlangt – die Liebe, die Freude, die Hoffnung. Die entscheidenden Fragen des Lebens beantworten wir mit Gott. Die Frage, was nach dem Tod ist, ist für mich durch die Hoffnung, die im Glauben verankert ist, beantwortet. Wir versuchen, miteinander den Glauben zu leben, das heißt aber nicht, dass es uns immer gelingt. Aber wir bemühen uns. Ich kann nur jeden dazu animieren, immer wieder zu versuchen, gemeinsam zu bestimmten Zeiten zu beten, Tischgebete zu sprechen oder gemeinsam die Messe zu besuchen.

Ein Dirigent kann ohne ein gutes Orchester keine gute Interpretation bringen, umgekehrt ist es genauso.
Manfred Honeck


STOL: Es war nachzulesen, dass Ihr Sohn in einer Ordensgemeinschaft war.
Honeck: Er war Jesuit. Er war noch kein Priester und hat dann letzten Endes doch entschieden, zu heiraten. Meine jüngste Tochter ist derzeit im Noviziat in Rom. Aber diese Entscheidungen haben nichts mit mir zu tun. Ich habe sie nicht dazu gedrängt, diesen Weg zu gehen.

STOL: Was zeichnet einen guten Dirigenten aus?
Honeck: Diese Frage ist schwerer zu beantworten, als man glaubt. Die Vermittlung dessen, was in der Musik ist, ist letzten Endes das Entscheidende. Viele kennen die Partitur, können sie aber nicht vermitteln, sei es durch die Hände oder die Art und Weise, wie sie sich verhalten. Da ist viel psychologisches Wissen erforderlich. Herbert von Karajan hat einmal gesagt, 50 Prozent des Erfolges ist Psychologie. Damit meint er, dass es ausschlaggebend ist, wie man mit den Musikern umgeht und sie dazu animiert, noch besser zu sein. Früher gab es unter den Dirigenten sehr viele Diktatoren, mittlerweile setzen die Dirigenten auf das Miteinander. Aber allen ist gleich, dass sie die Partitur kennen, dass sie sich mit ihren Händen ausdrücken können und eine klare Zeichengebung haben. Letzten Endes ist aber entscheidend, dass der Dirigent eine Einheit mit der Musik bildet, dass er das, was die Musik ausstrahlt, wirklich dirigiert und verinnerlicht.

STOL: Welchen Anteil hat der Dirigent am Erfolg eines Orchesters?
Honeck: Ich würde sagen, 50 Prozent hat das Orchester Anteil und 50 Prozent der Dirigent mit seiner Interpretation. Ein Dirigent kann ohne ein gutes Orchester keine gute Interpretation bringen, umgekehrt ist es genauso. Auch im Fußball ist es so, dass 11 gute Spieler noch lange keine Champions-League gewinnen. Der Trainer hat die Aufgabe, eine Taktik zu entwickeln, die Spieler zu koordinieren und in ein System zu bringen. Das macht ein Dirigent mit einem Orchester auch.

STOL: Sie arbeiten mit Orchestern mit internationaler Besetzung. Wirkt sich der kriegerische Konflikt in Europa in Ihrem Berufsleben aus?
Honeck: Nicht unmittelbar, denn wir machen Musik für alle Menschen. Und Musik ist nicht politisch bzw. sollte es nicht sein.

STOL: Was macht für Sie den Reiz aus, mit einem Jugendorchester zu arbeiten?
Honeck: Ich habe selbst meine ersten Orchesterstücke in einem Jugendorchester spielen dürfen. Ich habe damals die Dirigenten dafür bewundert, wie sie uns in die Musik eingeführt haben. Ich bin jetzt 65 und habe das Gefühl, dass ich das gerne zurückgeben möchte. Ich sehe es als wichtige Aufgabe an, dass die jungen Menschen gut in das Verständnis der Musik und der Komposition eingeführt werden.



Zur Person

Manfred Honeck gilt als einer der weltweit führenden Dirigenten. Seit 2008 ist er Musikdirektor des Pittsburgh Symphony Orchestra. Honeck wurde 1958 in Nenzing in Vorarlberg geboren. Er absolvierte seine musikalische Ausbildung an der Hochschule für Musik in Wien. Seine langjährige Erfahrung als Mitglied der Wiener Philharmoniker und des Wiener Staatsopernorchesters war nachhaltig prägend für seine Arbeit als Dirigent. Als Gastdirigent steht er am Pult aller führenden internationalen Klangkörper, darunter die Berliner Philharmoniker, das London Symphony Orchestra, das Orchestre de Paris, die Wiener Philharmoniker sowie die Sinfonieorchester von New York, Chicago, Los Angeles, Boston, Chicago, Philadelphia und San Francisco.



Zum Vormerken

Im Rahmen des Bolzano Festivals Bozen dirigiert Manfred Honeck am 11. August das Jugendorchester der Europäischen Union. Das Konzert findet um 20.30 Uhr im Stadttheater Bozen statt. Auf dem Programm stehen Werke von James MacMillan, Sergej Prokofiev und Dmitrij Šostakóvic.

Dieses Interview erschien zuerst im „Katholischen Sonntagsblatt“.

stol

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