Sonntag, 4. Juni 2023

Anschober: „Diese Menschen akzeptieren keine andere Meinung als die ihre“

Seine Familie und er wurden während der Corona-Pandemie massiv von Corona-Leugnern bedroht. Vor 2 Jahren erklärte der damalige österreichische Gesundheitsminister Rudolf Anschober dann aus gesundheitlichen Gründen seinen Rücktritt aus der Politik. Die Corona-Zeit hat er mittlerweile in dem Buch „Pandemia: Einblicke und Aussichten“ aufgearbeitet. Gleichzeitig warnt er auch vor militanten Gruppierungen, die sich in dieser Zeit gebildet haben: „Sie sind eine Gefahr für die Demokratie“, sagt Anschober im Sonntags-Gespräch mit STOL.

Rudolf Anschober während seiner Lesung in Schlanders auf Einladung des KVW.

Von:
Arnold Sorg
STOL: Herr Anschober, vor rund 2 Jahren gaben Sie Ihren Rücktritt als österreichischer Gesundheitsminister bekannt. Wie geht es Ihnen ohne ein Leben in der Politik?
Rudolf Anschober: Ehrlich gesagt war und ist es immer noch eine große Umstellung. Aber mir geht es sehr gut, ich arbeite als Autor und als Vortragender (jüngstes Buch: „Pandemia: Einblicke und Aussichten“, Anm. d. Red.). Bei den Lesungen geht es oftmals um die Pandemie und die politischen Konsequenzen der Pandemie bis hin zur Klimakrise. Eine politische Tätigkeit habe ich also nach wie vor, aber keine parteipolitische mehr.

Ein nächstes Mal wird es geben, wir können nur nicht vorhersagen, wann die nächste Pandemie über uns hereinbricht. Die Wahrscheinlichkeit von Pandemien nimmt zu.
Rudolf Anschober


STOL: Sie sind im April 2021 – also mitten in der Corona-Pandemie - wegen gesundheitlicher Gründe aus der Politik ausgeschieden, Ihre Familie und Sie sind zudem massiv von Corona-Leugnern bedroht worden. Was hat diese Pandemie mit der Gesellschaft gemacht?
Anschober: Einerseits wurde durch die Pandemie massiv in das Leben aller Menschen eingegriffen, das war eine tiefschürfende Zäsur für jeden Einzelnen. Andererseits hat diese Krise Spaltungstendenzen, die schon zuvor vorhanden waren, noch einmal deutlich verstärkt und auch zugespitzt. Die Gesellschaft ist deutlich aggressiver geworden, daher müssen wir dringend einen Aufarbeitungsprozess starten. Wir haben sicherlich vieles richtig gemacht, es sind aber auch Fehler passiert und daraus müssen wir lernen, damit wir beim nächsten Mal besser vorbereitet sind. Und ein nächstes Mal wird es geben, wir können nur nicht vorhersagen, wann die nächste Pandemie über uns hereinbricht. Die Wahrscheinlichkeit von Pandemien nimmt aber zu.

Am 13. April 2021 erklärte Rudolf Anschober seinen Rücktritt vom Amt des Bundesgesundheitsministers. - Foto: © APA/afp / JOE KLAMAR



STOL: Sie sagen die Gesellschaft ist aggressiver geworden. Diese Spaltung in der Gesellschaft gibt es also nach wie vor?
Anschober: Ja. Und diese Spaltung gilt es so weit zu überwinden, dass man zumindest wieder miteinander reden kann, dass beide Seiten dialogbereit sind. Schwierig wird das aber mit jenen Gruppierungen, die militant geworden sind. Sie haben ja die Bedrohungen angesprochen. So etwas darf in unserer Gesellschaft keinen Platz haben. Gewalt kann niemals ein Mittel von Politik sein, Gewaltandrohung auch nicht. Dagegen müssen wir etwas tun, denn wenn sich das verstärkt, dann haben wir ein echtes Problem in unserer Gesellschaft.

Diese militanten Gruppierungen sind eine Gefahr für die Demokratie.
Rudolf Anschober



STOL: Diese militanten Gruppierungen haben sich also aus den Corona-Leugnern und Impfgegnern gebildet?
Anschober: Zum Teil ja, zum Teil hat es diese Gruppierungen aber schon vorher gegeben. Ich habe mit einigen solcher Personen gesprochen und es wurde klar, dass sie schon vor der Corona-Pandemie eine andere Abzweigung genommen haben, dass sie schon vorher aus dem demokratischen Diskurs ausgeschieden sind. Durch die Pandemie wurde diese Haltung aber noch einmal deutlich befeuert. Eine große Rolle bei diesen Gruppierungen spielt Social Media und dabei vor allem „Telegram“. Dieses Netzwerk entzieht sich völlig der öffentlichen Kontrolle. Es gibt keine Regelungen. Das ist ein riesiges Problem. Diese Personen leben in einer eigenen Blase und gehen auch keine inhaltlichen Diskussionen ein mit Menschen, die eine andere Meinung als die ihre haben. Sie akzeptieren keine andere Meinung als die ihre.

Rudolf Anschober (rechts) bei seinem Vortrag beim KVW Schlanders mit Josef Bernhart (links).



STOL: Warum entscheidet man sich als Mensch, dass man keinem Staat mehr angehören will und auch keine institutionellen Regeln mehr akzeptiert?
Anschober: Das ist ein großes Thema. In meinen Gesprächen mit militanten Corona-Leugnern war es immer ein bestimmtes Thema, das dazu führte, dass sich diese Personen von der Gesellschaft abgewandt haben. Das kann eben die Corona-Pandemie sein, oder auch ein ganz anderes Thema. Diese Personen haben sich von der Gesellschaft abgewandt und suchten und fanden sogenannte Heilsbringer auf „Telegram“, die ihre Meinung gestützt und befeuert haben. In der Folge glauben diese Personen dann auch nicht, dass es den Angriffskrieg Putins gibt. Diese Verschwörungstheorien verstärken sich stetig durch das Meinungsmonopol, welches oft auf „Telegram“ herrscht. Diese Menschen lesen keine klassischen Medien mehr, sie bewegen sich nur mehr in ihrer eigenen Blase, sie wollen nur ihre eigene Meinung bestätigt sehen. Das ist ein Grundproblem in unserer Gesellschaft geworden: Wir müssen uns wieder einen Grundrespekt voreinander erarbeiten, sonst gerät die Demokratie in eine schwierige Situation.

Kritik darf nicht in Gewaltandrohungen ausarten, das dürfen wir niemals zulassen. Das ist ganz entschieden zu verurteilen. Dieses Phänomen darf sich nicht ausbreiten.
Rudolf Anschober



STOL: Sind diese militanten Gruppen eine Gefahr für die Demokratie?
Anschober: Ja. Wir müssen diese Gruppierungen ernst nehmen. Zudem braucht es dringend Kontrollmechanismen und Regeln für – wie ich immer sage – die angeblich sozialen Netzwerke, wie eben „Telegram“. Hass im Netz darf es nicht geben, zudem müssen die Betreiber solcher Netzwerke endlich stärker in die Verantwortung genommen werden.


STOL: Ihre Familie und Sie sind während der Pandemie massiv von Corona-Leugnern bedroht worden. Wie geht man als Politiker damit um?
Anschober: Ich wurde rund um die Uhr bewacht und beschützt, sodass die Sicherheit immer gegeben war. Das hat natürlich dazu geführt, dass ich isoliert war und mich zu dieser Zeit sehr einsam gefühlt habe. Ich habe es nämlich geliebt mit der U-Bahn zu fahren, um zu erfahren, was die Bürger umtreibt. Als dann auch meine Familie bedroht wurde, wurde es hochproblematisch und hat mir große Sorgen bereitet. Kritik darf nicht in Gewaltandrohungen ausarten, das dürfen wir niemals zulassen. Das ist ganz entschieden zu verurteilen. Dieses Phänomen darf sich nicht ausbreiten.

Alle STOL-Sonntags-Gespräche finden Sie hier im Überblick.

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