Samstag, 24. Februar 2024

2 Jahre Krieg in der Ukraine: Fragen und Antworten

Seit 2 Jahren herrscht ein erbitterter Krieg in der Ukraine, den Russland am 24. Februar 2022 angezettelt hat. Im folgenden Artikel werfen wir wichtige Fragen zum Krieg in Europa auf und suchen nach Antworten.

Kämpfe gehen in Ukraine ungehindert weiter. - Foto: © APA/AFP / FADEL SENNA

Warum wurde der Krieg begonnen? Was sind die erklärten Kriegsziele?

Russlands Präsident Wladimir Putin befahl den „militärischen Sondereinsatz“ am 24. Februar 2022, mit dem Ziel die Ukraine zu entwaffnen und von „Nazis“ zu befreien. Das Land existiere überhaupt nur dank Lenins und des bolschewistischen Russlands, hatte Putin kurz vor dem Einmarsch in einer Rede gesagt und kritisiert, dass sich die Ukraine zum „Marionetten-Regime“ der USA habe machen lassen.

Im März 2022 definierte Russland seine Ziele neu. Es hieß fortan, man konzentriere sich darauf, die abtrünnige Region im Donbass im Osten der Ukraine vollständig zu befreien.

Die Regierung in Kiew dagegen wertete die „Spezialoperation“ als Versuch Putins, die Ukraine zu erobern und ihre Souveränität auszulöschen.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg geht davon aus, dass der Zweck der Invasion gewesen sei, zu verhindern, dass sich die Ukraine in Richtung NATO und Europäische Union bewegt. Nach 2 Jahren Krieg sei die Ukraine nun aber näher an der NATO und der EU als je zuvor, sagte er in einem Interview mit der Deutschen Presseagentur.

Was ist die Vorgeschichte des Kriegs?

2008 gelang es Putin durch Warnungen, eine Erweiterung der NATO um die ehemaligen Sowjetrepubliken Ukraine und Georgien zu verhindern. Eine Mitgliedschaft war vor dem NATO-Gipfel Anfang April 2008 vom damaligen ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko angestrebt und auch von Ex-US-Präsident George W. Bush unterstützt worden. Deutschland und Frankreich stellten sich jedoch nach der russischen Drohkulisse dagegen.

Russland intervenierte auch gegen die Annäherung der Ukraine an die EU. Der damalige pro-russischen Präsident Viktor Janukowitsch legte 2013 das Assoziierungsabkommen mit der EU auf Eis. Monatelange Massenproteste gegen diese Entscheidung folgten.

Im Februar 2014 ließ der Kreml russische Truppen an der Grenze zur Ukraine aufmarschieren. Am 27. Februar besetzen russische Einheiten das Parlament und das Regierungsgebäude in Simferopol auf der Schwarzmeer-Halbinsel Krim. Ein Referendum wurde angesetzt, bei dem sich am 16. März laut Angaben der Organisatoren eine große Mehrheit für die Angliederung an Russland aussprach. Am 18. März stimmte Putin zu und am 21. besiegelte das Parlament die offizielle Aufnahme der Krim.

Im April besetzten russische Freischärler und pro-russische Separatisten Verwaltungsgebäude in mehreren Städten der Ostukraine, sie riefen in den Regionen Donezk und Luhansk „unabhängige Volksrepubliken“ aus. Ein langjähriger bewaffneter Konflikt begann, bei dem laut UNO-Schätzungen 14.000 Menschen getötet wurden.

Seit der Wahl von Wolodymyr Selenskyj zum ukrainischen Präsidenten 2019 war die Intensität der Kampfhandlungen massiv zurückgegangen: Von insgesamt 3400 zivilen Todesopfern zwischen 2014 und 2021 starben 25 Personen 2021. In diesem Jahr ließ Putin wieder russische Truppen an der Grenze aufmarschieren. Am 21. Februar 2022 erkannte er Donezk und Luhansk als „Volksrepubliken“ an.

Wie ist der Krieg verlaufen?

Der Krieg befindet sich nach Ansicht des Bundesheer-Militärexperten Markus Reisner nun in der 6. Phase. Es ist die 2. Winteroffensive Russlands. Bei der Invasion am 24. Februar 2022 griffen russische Truppen die Ukraine von Norden, Osten und Süden an.

Nach einer erfolgreichen Gegenwehr änderte Moskau seine Strategie und konzentrierte sich auf den Osten und Süden des Landes. Hier gelangen Russland bedeutende Gebietsgewinne. In einer Gegenoffensive der Ukraine ab dem Frühling 2022 konnten die ukrainischen Streitkräfte einige Gebiete zurückerobern.

In der darauffolgenden ersten russischen Winteroffensive konzentrierte sich Russland unter anderem auf die Infrastruktur und zerstörte große Teile der Energieversorgung. Die ukrainische Gegenoffensive im Sommer 2023 scheiterte aufgrund von Munitionsmangel und fehlender Luftüberlegenheit. Russland startete die zweite Winteroffensive. Aktuell fiel die seit Monaten umkämpfte ukrainische Stadt Awdijiwka der russischen Armee in die Hände.

Wie sieht das militärische Kräfteverhältnis Russlands aus?

Russland ist norwegischen Geheimdienstinformationen zufolge dabei, in der Ukraine dank eines größeren Truppenreservoirs und der materiellen Unterstützung von Ländern wie Nordkorea und China militärisch die Oberhand zu gewinnen.

Russland hat die Mittel für staatliche Verteidigungsaufträge im Vergleich zu 2022 verdoppelt und die Produktion „bestimmter Waffen“ um das Zehnfache gesteigert, sagte der stellvertretende russische Ministerpräsident Denis Manturow. Fast ein Drittel des Staatsbudgets wird für das Militär aufgewendet, die Rüstungsausgaben heuer laut dem Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) auf 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigen.

Wie steht es um die Kapazitäten der Ukraine?

Die Ukraine will ebenfalls die inländische Produktion von Waffen und Munition vorantreiben. Allerdings ist die Ukraine stark von westlicher Unterstützung abhängig. „Die Ukraine ist mittlerweile wie ein Patient, der an der Infusion hängt“, nennt dies der Oberst des Generalstabsdienstes, Reisner. Vor allem Deutschland forderte zuletzt mehr Engagement bei der militärischen Unterstützung der Ukraine und will nach eigenen Angaben 2024 das „Drei- bis Vierfache“ an Artillerie-Munition liefern.

Die EU hatte eine Million Geschosse zugesagt, aber laut Experten der Ukraine noch nicht die Hälfte davon zukommen lassen. Nach Berechnungen des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW) gibt es insgesamt Hilfszusagen der EU von über 144 Milliarden Euro. Die tatsächlich zugewiesenen Mittel für die finanzielle, humanitäre und militärische Unterstützung liegen laut EU-Kommission dagegen bei 88 Milliarden.

Ein 60-Millarden-Dollar-Hilfspaket der USA steckt gerade im Ratifizierungsprozess, die Zustimmung des US-Repräsentantenhauses ist ungewiss.

Was würde ein Sieg Russlands bedeuten?

Der Vorsitzende des EU-Militärausschusses Robert Brieger betont: „Russland darf den Krieg nicht gewinnen.“ Die Sicherheit der Ukraine sei aufs Engste mit der Sicherheit Europas verbunden. Eine russische Kontrolle über die Ukraine würde den russischen Einfluss um viele 100 Kilometer nach Westen verschieben und damit ein ähnliches Gefährdungspotenzial wie im Kalten Krieg herbeiführen, erklärte Brieger im Interview mit „profil“.

Befürchtet wird im Westen auch, dass ein Sieg Russlands für Putin oder auch andere Länder als Ermunterung aufgefasst würde, ihre Ziele militärisch durchzusetzen und das Völkerrecht zu missachten.

Wird der Krieg heuer enden?

Die Ukraine selber rechnet laut dem Militärexperten Reisner erst im kommenden Jahr mit einer Entscheidung. Auch der Russland-Experte Gerhard Mangott erwartet erst 2025 eine mögliche neuerliche ukrainische Offensive zur Vertreibung des Aggressors. Der bekannte ukrainische Historiker und Intellektuelle Jaroslaw Hryzak hat ebenfalls keine Hoffnung auf ein Kriegsende 2024.

Warum gibt es keine Friedensverhandlungen?

Friedensverhandlungen lehnt die Ukraine derzeit ab, weil sie dies als existenzbedrohend erachtet. Putin sagte bei seiner Jahrespressekonferenz im Dezember 2023 erneut, Frieden könne es nur geben, wenn Russland seine Ziele erreicht habe. Mitte Jänner warnte er vor einem Ende der staatlichen Existenz der Ukraine. In Friedensverhandlungen will Kiew daher erst treten, wenn Russland seine Truppen aus der Ukraine abgezogen hat, betonte der Leiter des Präsidentenamtes in Kiew, Andrij Jermak.

Verhandelt wurde außerdem bereits: Verhandlungen zwischen Mittelsmännern in Istanbul ab März 2022 brachten keine Lösung. Ebenso wie Vermittlungsbemühungen von Staats- und Regierungschefs wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz oder dem österreichischen Bundeskanzler Karl Nehammer.

Wirken die Sanktionen?

Die von der EU verhängten Sanktionen zeigten Wirkung. Zunächst führten sie dazu, dass die russische Wirtschaft in eine Rezession stürzte. Mehr als 1100 multinationale Unternehmen verließen Russland seit Kriegsbeginn, was laut Wirtschaftsminister Martin Kocher einen gewaltigen Verlust an Know-how und Technologie für Russlands Wirtschaft bedeutet. Das Ausfuhrverbot für Güter und Technologien hatte 2022 auch zur Folge, dass Ersatzteile fehlten.

Russland passte sich allerdings an die Sanktionen an. Im vergangenen Jahr war die russische Wirtschaft wieder um 3,5 Prozent gewachsen. Experten des Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) sehen aber zunehmende Überhitzungserscheinungen durch den Rüstungsboom. Durch den Krieg fehle es an Arbeitskräften und die Leitzinsen seien wegen der hohen Inflation auf 16 Prozent angehoben worden – das dürfte das Wachstum heuer auf 1,5 Prozent begrenzen, so die Erwartung.

Russland ist immer mehr davon abhängig, dass der Krieg weitergeht“, sagte Wassili Astrow, Russland-Experte des wiiw. Das Budgetdefizit beträgt heuer nur knapp 1 Prozent, die Finanzierung des Krieges ist laut wiiw kein Problem.

Wer unterstützt Russland?

Russland erhält militärische Unterstützung aus dem Iran, von Belarus und Nordkorea. China liefert laut Informationen des norwegischen Militärgeheimdienstes zwar keine Waffen, aber Maschinen, Fahrzeuge, Elektronik und Ersatzteile für die russische Rüstungsindustrie. Auch die Türkei liefert Experten zufolge Bauteile.

Der polnische Sicherheitsexperte Slawomir Majman, Vizechef des Instituts für Sicherheit und internationale Entwicklung in Warschau, sieht außerdem in Indien, Afrika und in Lateinamerika Verbündete Russlands, „wo sich viele darüber freuen, dass die Russen den Amerikanern in den Hintern treten.“ Militärexperte Reisner spricht von einem Konflikt des Westens mit dem Globalen Süden.

Muss sich Europa auf eine Ausweitung des Kriegs vorbereiten?

Das österreichische Bundesheer schätzt die Gefahr einer Konfrontation zwischen der EU und Russland als „sehr hoch“ ein, wie Generalmajor Peter Vorhofer unlängst bei der Präsentation des „Risikobilds 2024“ des Verteidigungsministeriums sagte. „Das bedeutet, dass wir 2024 mit einer hohen Wahrscheinlichkeit hybride Kriegsführung erleben.“

Konkrete Risiken sind etwa Cyberangriffe sowie Desinformationskampagnen im aktuellen Superwahljahr. Der Experte nannte auch Versuche von externen Akteuren, die europäische Integration „durch gezielte Angriffe und Zwangsausübung“ zu schwächen. Es solle nämlich verhindert werden, dass Europa zu einem wesentlichen sicherheits- und außenpolitischen Akteur werde.

Zuletzt wurde bekannt, dass Russland die estnische Premierministerin Kaja Kallas und weitere Regierungsmitglieder baltischer Länder im vergangenen Jahr zur Fahndung ausgeschrieben hat.

Wie bereitet sich der Westen vor?

Die NATO-Staaten und Verbündete arbeiten an einem Ausbau ihrer Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit und erhöhen ihre Ausgaben für Rüstung. Die NATO hält derzeit außerdem die größte Übung seit Jahrzehnten ab. „Steadfast Defender“ (Standhafter Verteidiger) mit rund 90.000 Soldaten soll nach NATO-Angaben als Ernstfall ein russischer Angriff auf Bündnisgebiet geprobt werden.

Was der Krieg in der Ukraine für die arabische Welt bedeutet, erklärte der Politologen Adel El Sayed bereits vor einigen Monaten, im s+-Interview.

apa/stol

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