Freitag, 30. Juni 2023

Gutachter zum Unglück in Luttach: Lechner 2 bis 4 Sekunden total blind

Für Rechtsmediziner Dr. Roberto Rondinelli hatten die Fernlichter des Busses, aus dem die Urlauber gestiegen sind, einen größeren Einfluss auf das Unfallgeschehen als der Alkoholgehalt im Blut von Stefan Lechner. „Der Lenker war 2 bis 4 Sekunden total blind“, erklärte der Parteiengutachter gestern beim verkürzten Verfahren vor Richter Ivan Perathoner.

Im verkürzten Verfahren vor Richter Ivan Perathoner haben gestern 2 Gutachter der Verteidigung ihre Erkenntnisse zum Alkoholpegel des Unfalllenkers und zur Auswirkung von plötzlichem Licht auf das Auge bei Nacht kundgetan. ANDREAS KEMENATER - Foto: © ANDREAS KEMENATER

Dr. Rondinellis detaillierte Rekonstruktion der Sekunden vor dem Verkehrsunfall, bei dem am 5. Jänner 2020 in Luttach 7 junge Menschen ihr Leben verloren haben und weitere 7 verletzt wurden, führt einen Faktor ins Feld, der auch Gegenstand eines behängenden Zivilverfahrens ist. Wie berichtet, hat ein Unfallopfer eine Schadenersatzklage gegen den Fahrer des Busses, der die Urlaubergruppe transportiert hatte, die Firma, für die er arbeitete und die Versicherung des Busunternehmens angestrengt. Eines der Klageargumente von Rechtsanwalt Markus Wenter, der das Opfer vertritt, ist, dass der Busfahrer Stefan Lechner geblendet habe, indem er wiederholt das Fernlicht in Richtung des Audi TT eingeschaltet habe.

Im Strafverfahren, das derzeit in Form eines verkürzten Verfahrens vor Richter Ivan Perathoner verhandelt wird, ist hingegen nur der Unfalllenker angeklagt. Staatsanwalt Axel Bisignano wirft Stefan Lechner fahrlässige Tötung im Straßenverkehr („omicidio stradale“, Art. 589bis StGB) und fahrlässige schwere bzw. schwerste Körperverletzung im Straßenverkehr (Art. 590bis StGB) vor.

Hier erfahren Sie mehr zur Tragödie von Luttach.

Das Urteil fällt am 29. November

Laut Parteiengutachter Dr. Rondinelli habe das Fernlicht des Busses aber einen durchaus relevanten Einfluss auf den Unfall gehabt. Er erklärte, wie das Auge reagiert, wenn es in völliger Dunkelheit plötzlich in grelles Licht schauen muss und erläuterte, was seiner Auffassung nach in Luttach passiert ist.

Der Buslenker dürfte den Audi TT frühestens auf 150 Meter Entfernung aus der Dunkelheit auftauchen gesehen haben. Erst auf 100 Meter Entfernung sei es möglich, die Geschwindigkeit des Fahrzeuges einzuschätzen. Unter Berücksichtigung der nötigen Reaktionszeit dürfte der Busfahrer das Fernlicht eingeschaltet haben, als der Audi nur mehr zwischen 75 und 50 Metern von der Unfallstelle entfernt war. Stefan Lechner sei durch das plötzliche Licht nicht nur geblendet, sondern „für 2 bis 4 Sekunden total blind“ gewesen.

Somit habe er, wie seine Verteidiger Andreas Tscholl und Alessandro Tonon betonen, keine Chance gehabt, die Fußgänger auf der Fahrbahn rechtzeitig zu sehen und zu reagieren.

Sachverständiger: Zum Unfallzeitpunkt nur 0,8 Promille

Aufhorchen ließ mit seinen Ausführungen auch der zweite Parteiengutachter, der Toxikologe und Uni-Professor Raffaele Giorgetti. Bekanntlich legt die Staatsanwaltschaft Stefan Lechner zur Last, dass er unter starkem Alkoholeinfluss gestanden sei. Er war eine Stunde nach dem Unfall einem Alko-Test unterzogen worden. Dieser ergab bei der ersten Messung 1,97 Promille, bei der zweiten – 5 Minuten später – 2,09 Promille. Aus den beiden Werten sei ersichtlich, dass der Alkoholspiegel noch im Ansteigen war. Mit anderen Worten: Zum Unfallzeitpunkt war der Wert niedriger. Aber mehr noch: In dieser Phase würden Messungen mit dem Alkomaten einen erhöhten Alkoholgehalt anzeigen – bis zu der doppelten Menge, die sich effektiv im Blut befindet. Im konkreten Fall werde dies durch die zuverlässigere Blutprobe, die bei Lechner zweieinhalb Stunden nach dem Unfall im Spital durchgeführt wurde, gestützt. Somit könne davon ausgegangen werden, dass Lechner beim Alkomat-Test zwischen 0,9 und 1,3 Promille Alkohol im Blut gehabt habe. Da der Alko-Test erst eine Stunde nach dem Unfall durchgeführt wurde, sei wahrscheinlich, dass er zum Zeitpunkt des Aufpralls sogar unter 0,8 Promille gehabt haben könnte, schloss Giorgietti.

Richter Ivan Perathoner vertagte das Verfahren auf den 29. November, da dürfte auch das Urteil fallen. Stefan Lechner befindet sich indes weiterhin auf freiem Fuß im Kloster Neustift, an der gestrigen Verhandlung nahm er nicht teil.

rc

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