Sonntag, 31. März 2024

„Pflegeeltern gesucht!“: Wenn die Familie nicht mehr kann

„Pflegeeltern gesucht! Herausforderung mit Herz“: Im Raum Bruneck werden Paare, Familien oder Einzelpersonen gesucht, die bereit sind, ein Grundschulkind abends und über Nacht bei sich aufzunehmen. Die Bezirksgemeinschaft Pustertal ist mit dem Aufruf an die Öffentlichkeit gegangen. Warum, erklärt die Verantwortliche Claudia Gasteiger im Interview.

Wenn den leiblichen Eltern die Kraft fehlt, für ein Kind zu sorgen, sind Pflegefamilien eine große Stütze. In ganz Südtirol werden sie gesucht. Melden können sich Interessierte bei den zuständigen Sozialsprengel in ihrem Einzugsgebiet. - Foto: © shutterstock

Von:
Katrin Niedermair
Wenn Eltern sich nicht mehr um ihre Kinder kümmern können, wenn Krankheit, Sucht oder andere Schwierigkeiten überhandnehmen, dann greifen die sozialen Netze der Gesellschaft. 160 Kinder in Südtirol mussten im Jahr 2022 bei Pflegefamilien untergebracht werden. Im Jahr zuvor waren es 174. Das geht aus dem Bericht „Sozialstatistiken 2023“ der Abteilung Soziales hervor.

Claudia Gasteiger ist Sozialassistentin und arbeitet für die Bezirksgemeinschaft Pustertal im Fachteam Familiäre Anvertrauung. Es ist ihr Beruf, Menschen zu finden, die sich um Kinder kümmern, wenn deren eigene Familien das nicht schaffen.

Claudia Gasteiger, Sozialassistentin in Bruneck - Foto: © privat



STOL: Sie suchen derzeit eine Pflegefamilie für ein Pusterer Kind im Grundschulalter und haben dazu einen Aufruf in den Medien veröffentlicht. Warum?
Claudia Gasteiger: Die Anfrage haben wir erst kürzlich bekommen. Das Kind bräuchte eine Pflegefamilie in Bruneck oder in einem Dorf in der Nähe. Wir haben in der Gegend derzeit keine zur Verfügung. Alle, die bereit wären, das Kind aufzunehmen, wohnen zu weit weg. Darum der Aufruf.

STOL: An wen richtet sich Ihr Appell?
Gasteiger: Wir suchen Paare mit oder ohne Kinder, verheiratete oder unverheiratete, auch Alleinstehende, die den Wunsch haben, Unterstützung zu geben.

STOL: Der Bedarf ist groß?
Gasteiger: Es gibt mehr Anfragen als zur Verfügung stehende Pflegefamilien.



STOL: Wie viele Pflegefamilien gibt es derzeit in Ihrem Einsatzgebiet, im Pustertal?
Gasteiger: Derzeit sind es 15. Manche haben eigene Kinder, andere nicht.

STOL: Wie wählen Sie die Pflegefamilie für ein Kind aus?
Gasteiger: Bei der außerfamiliären Anvertrauung kennen sich Pflegeeltern und -kinder vorher nicht. Es melden sich ganz unterschiedliche Menschen. Wir schauen, welches Kind und welche Familie zusammenpassen, damit wir einen guten Verlauf erreichen. Es gibt aber auch die innerfamiliäre Anvertrauung: Großeltern, Tanten und Onkel, die einspringen, wenn es in der Ursprungsfamilie nicht mehr geht.

STOL: Welche Kriterien muss eine Pflegefamilie erfüllen?
Gasteiger: Pflegeeltern brauchen keine Ausbildung. Es gibt keine Anforderungen, die mit jenen bei Adoptionen zu vergleichen wären. Wir versuchen, die Familien gut kennenzulernen, stehen mit ihnen im regelmäßigen Austausch. Ein eigenes Bett, ein eigenes Zimmer für das Pflegekind wäre gut. Es gibt aber auch Pflegefamilien, die ein Pflegekind im Stockbett mit dem leiblichen Kind unterbringen. Auch das kann einem Kind Sicherheit und Geborgenheit geben. Wenn die Familie bereit und offen ist, dem Kind Aufmerksamkeit, Zuneigung und Förderung zu bieten, ist das ausreichend.



STOL: Was kommt auf den zu, der ein Pflegekind aufnimmt?
Gasteiger: Lebt das Kind bei der Pflegefamilie, hat es dennoch Kontakt zu seiner Herkunftsfamilie und kann sie regelmäßig treffen. Ziel ist es nämlich immer, das Kind nach Überwindung der Schwierigkeiten oder Notlagen zurück zu seinen Eltern zu bringen. Manche Kinder sind auch nur in „Teilzeit“ bei ihren Pflegeeltern: einige Stunden oder Tage die Woche, je nach Bedarf und Möglichkeiten.

STOL: Teilzeit in einer Pflegefamilie: Wie ist einem Kind damit geholfen?
Gasteiger: Bei Schwierigkeiten in der Herkunftsfamilie, bei akuter Überforderung der Eltern, wenn es wichtig ist, sie zu entlasten und das Kind zu fördern. Ein Beispiel: Ist ein Familienmitglied krank, kann es wohl tun, wenn das Kind einmal für ein paar Stunden herauskommt, einen anderen Alltag leben kann, damit es sich gut entwickelt, bis seine Familie das Ganze wieder selbst gut meistern kann. Migrantenfamilien fehlt oftmals ein familiäres Netz, auf das sie zurückgreifen könnten, wenn Probleme auftreten.

STOL: Gibt es für Pflegefamilien finanzielle Unterstützung?
Gasteiger: Viele wissen das nicht und sind überrascht, wenn wir es ihnen sagen: Die Bezirksgemeinschaft gibt eine monatliche Vergütung für die Betreuung eines Pflegekindes. Natürlich sollte das Geld nicht ausschlaggebend sein, sondern der Wunsch, einem Kind zu helfen.

STOL: Wie stellen Sie das sicher?
Gasteiger: Pflegebewerber werden von einem Team aus Sozialassistenten, Sozialpädagogen und Psychologen eingeschätzt. Wir sprechen mit den Pflegeeltern über deren Erwartungen und Möglichkeiten, machen einen Hausbesuch, um die Situation kennenzulernen. Es ist uns wichtig, zu erfassen, welche Altersgruppe die Interessierten aufnehmen möchten, ob sie die Möglichkeit hätten, ein Kind mit Behinderung aufzunehmen...

STOL: Welche Hilfe bekommen Pflegefamilien über die finanzielle hinaus?
Gasteiger: Die Kinder sind über die Bezirksgemeinschaft haftpflichtversichert. Wer ein Kind Vollzeit zu sich nimmt, hat Anspruch auf Mutterschafts- oder Vaterschaftsurlaub und Elternzeit. Wir sind als Ansprechpartner da und versuchen, so gut es geht, zu unterstützen.



STOL: Welche Rückmeldungen erhalten Sie von Pflegefamilien?
Gasteiger: Unsicherheiten gibt es – besonders in der ersten Zeit. Man weiß nicht genau, was auf einen zukommt. Vor allem am Anfang gibt es Herausforderungen: Kinder versuchen, die Grenzen auszuloten, sie wollen sehen, wie die Menschen um sie herum reagieren, ob sie stabil sind, bei ihnen bleiben, wenn es einmal schwierig wird. Es ist für uns immer eine Freude, wenn wir sehen, wie gut sich die Kinder in den Pflegefamilien entwickeln. Sie machen dort wirklich immense Fortschritte. Leicht ist es freilich nicht.

STOL: Was, wenn keine Pflegefamilie gefunden wird?
Gasteiger: Die Kinder werden dann so lange in stationären Einrichtungen untergebracht – zum Beispiel im Landeskleinkinderheim in Bozen oder im Brixner Kinderdorf. Es gibt auch Bereitschaftspflegefamilien, die auf die Schnelle Kinder aufnehmen. Dass es solche Familien gibt, darüber sind wir sehr froh. Letztes Jahr hatte ich zum Beispiel an einem Tag um 10.30 Uhr eine Anfrage: 3 Kinder waren noch am selben Tag unterzubringen. Um 16 Uhr waren die Kinder schon bei der Pflegefamilie. Das war ein Notfall und es ist wirklich gut gegangen.

STOL: Wie lange bleiben die Kinder erfahrungsgemäß bei den Pflegeeltern?
Gasteiger: Normalerweise sind es einige Monate. Wird die Unterbringung vom Gericht angeordnet, sind 24 Monate der maximale Zeitraum. Danach wird die Situation neu bewertet und die Unterbringungen eventuell um weitere 24 Monate verlängert. Zeigt sich, die Herkunftsfamilie kann die Schwierigkeiten nicht überwinden, dem Kind nicht das geben, was es braucht, kann es auch sein, dass das Kind mit Einverständnis der Pflegefamilie länger bleibt. Die meisten Familien sind dazu bereit, sie haben über die Monate schon gute Beziehungen aufgebaut. Wir bekommen von vielen die Rückmeldung, dass sie bereit sind, Pflegekinder auch bis zur Volljährigkeit zu begleiten. Kontakte zur Herkunftsfamilie sind aber grundsätzlich zu befürworten.

STOL: Haben sich für das Kind in Bruneck schon Pflegeeltern gemeldet?
Gasteiger: Eine Familie hat sich gemeldet, aber das Informationsgespräch steht noch aus. Wir suchen noch. Über jeden, der sich meldet, sind wir unglaublich froh. Ich habe nämlich schon die nächsten Anfragen im Hinterkopf. Bedarf gibt es in ganz Südtirol.

Für Interessierte im Pustertal:

Für nähere Informationen wenden Sie sich bitte unverbindlich an das Fachteam Familiäre Anvertrauung: Claudia Gasteiger und Lisa Hofmann – 0474 412925 – [email protected]

Wer sich eine Anvertrauung vorstellen könnte oder nähere Informationen wünscht, kann sich an den zuständigen Sozialsprengel in seinem Einzugsgebiet wenden.


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