Donnerstag, 21. März 2024

Daniela Prugger: „Ich fürchtete um mein Leben“

Sie begleitet Minentrupps, Ärzte in beschädigten Krankenhäusern, sowie geflüchtete Familien: Daniela Prugger. Die 33-jährige Pustererin berichtet seit Kriegsbeginn aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew über die Kriegsereignisse und die tagtäglichen Schicksale, die die Menschen dort erleiden müssen. Am Mittwoch war Prugger auf Einladung des Raiffeisenverbandes für den traditionellen Presseempfang in Bozen. Im STOL-Interview sagt Prugger, welcher Tag für sie der schlimmste war, ob sie nie ans Aufhören denkt und wie es als Frau ist, Kriegsreporterin zu sein.

Daniela Prugger: „Wenn man einmal in solchen Situationen ist, dann schiebt man Ängste einfach beiseite, sonst ginge das nicht.“ - Video: stol

Von:
Arnold Sorg
STOL: Frau Prugger, Sie berichten seit 2 Jahren aus verschiedenen Kriegsgebieten in der Ukraine. Wie oft waren Sie schon in gefährlichen Situationen, wo Sie um Ihr Leben fürchteten?
Daniela Prugger : Als der Krieg begann, also am 24. Februar 2022. Damals fürchtete ich um mein Leben.

STOL: Was ist Ihnen am 24. Februar 2022 durch den Kopf gegangen?
Prugger: Für mich war das ein riesiger Schock. Zum einen musste ich mir Gedanken machen, wie ich persönlich nun mit dieser Situation umgehe und was die nächsten Schritte sind. Ich musste schauen, wie ich die Stadt verlassen kann, denn das musste ich, ich hatte ja keine Schutzweste und keinen Helm. Zudem waren die Straßen in Kiew schon blockiert und es gab keine einfachen Wege mehr, um aus Kiew zu flüchten.

Das war eine sehr verzweifelte Situation.
Daniela Prugger, Kriegsreporterin


STOL: Was haben Sie dann getan?
Prugger: Ich bin mit Freunden dann sofort zur italienischen Botschaft. Dort dachte ich, so wie auch alle anderen, dass dies nun wohl das Ende für die Ukraine sein wird. Damals ging man davon aus, dass die Ukraine in 3 Tagen in russischer Hand sein wird. Das war eine sehr verzweifelte Situation.

Daniela Prugger: „Für mich war das vollkommend überraschend“



STOL: Haben Sie diesen Krieg kommen sehen, oder war dieser russische Angriff am 24. Februar 2022 auch für Sie überraschend?
Prugger: Für mich war das vollkommen überraschend. In den Wochen davor gingen die meisten Militär- und Politikexperten davon aus, dass wenn, dann der Krieg im Donbass oder in Mariupol noch stärker eskalieren könnte, von einem Angriff auf Kiew ging damals niemand aus. Man muss immer bedenken, am Tag davor, also am 23. Februar, konnte man noch ganz normal mit dem Flieger von Wien nach Kiew reisen. Deshalb war das auch so absurd. Ich habe den Angriff nicht kommen sehen.

Wenn man einmal in solchen Situationen ist, dann schiebt man Ängste einfach beiseite, sonst ginge das nicht.
Daniela Prugger, Kriegsreporterin


STOL: Sie waren nach Kriegsbeginn in U-Bahn-Stationen der Stadt Charkiw, wo viele Bewohner in den ersten Kriegsmonaten ausharrten, Sie begleiteten Minentrupps, Ärzte in einem beschädigten Krankenhaus, sowie geflüchtete Familien. Wie schwierig ist es für Sie selbst, diese Arbeit zu machen? Sie begeben sich ja selbst ständig in Gefahr…
Prugger: Ich mach generell nur Reportagen und Geschichten, auf die ich Lust habe. Ich weiß dann in der Regel, was auf mich zukommt. Ich bin darauf eingestellt, wie zuletzt im Donbass, wo ich mehrere Tage verbracht habe, oder davor in Charkiw. Und wenn man dann in diesem Arbeits-Mindset ist, dann denkt man nicht die ganze Zeit darüber nach, was passieren könnte, denn genau das wäre dann gefährlich, wenn man sich die ganze Zeit von Ängsten ablenken lassen würde. Ich habe darüber oft auch mit Reporterkollegen gesprochen und auch sie machen das so. Wenn man einmal in solchen Situationen ist, dann schiebt man Ängste einfach beiseite, sonst ginge das nicht, das würde einen nur hemmen und man wäre ein Risiko für andere Leute.

Daniela Prugger (links) im Gespräch mit Arnold Sorg (rechts). - Foto: © DLife_DF




STOL: Für uns hier in Südtirol ist der Krieg weit weg, obwohl er mitten in Europa stattfindet. Wie kann man sich das vorstellen? Lebt man in ständiger Angst, oder haben sich die Ukrainer mittlerweile sogar an die Kriegssituation gewöhnt?
Prugger: Ich glaube, dass man über eine so lange Zeit nicht ständig in Angst leben oder Angst fühlen kann, das wäre gar nicht möglich. Viele Ukrainer haben sich daher an die Umstände gewöhnt. Leider. Aber die Akzeptanz der ukrainischen Bürger, dass das jetzt ihr Leben ist, ist nicht gegeben. Man hat sich zwar an diese Situation gewöhnt, aber man akzeptiert sie nicht.

STOL: Sie arbeiten und berichten seit mittlerweile 5 Jahren aus der Ukraine – seit 2 Jahren nun als Kriegsreporterin. Hatten Sie nie Momente, an denen Sie dachten, das wird mir zu viel, ich will nicht mehr?
Prugger: Doch. Hin und wieder kommen einem diese Gedanken, die sich dann aber schnell wieder verflüchtigen. Richtig ernsthaft habe ich noch nie daran gedacht, alles hinzuschmeißen, denn dann hätte ich das auch getan.

STOL: Aber es hat Situationen gegeben, an denen Sie gezweifelt haben, ob Sie das weiterhin machen wollen?
Prugger: Nicht unbedingt Situationen. Es war vielmehr das Arbeitspensum, dass man halt von einer Breaking-News-Geschichte zur nächsten laufen muss. Zudem gibt es ständig Luftangriffe, die einem auch psychisch zusetzen. Dann ist man nicht ausgeruht, man kann nicht schlafen und hat keine Pausen dazwischen. Das setzt einem schon arg zu. Aber ich sehe immer noch viel Sinn in meiner Arbeit in der Ukraine, daher mache ich weiter.

Wir dürfen die Gefahr, die von Russland ausgeht für Europa, nicht unterschätzen.
Daniela Prugger, Kriegsreporterin


STOL: Aber was macht diese ständige Kriegssituation mit Ihnen selbst?
Prugger: Ich bin mir sämtlicher Privilegien bewusst geworden, die ich früher immer für selbstverständlich erachtet habe. Wir sind als Südtiroler in ein friedliches Umfeld hineingeboren, haben einen relativ hohen Wohlstand, können reisen, müssen nicht in ständiger Angst leben, dass wir nicht von einem anderen Land angegriffen werden - das alles ist für uns und war auch für mich ziemlich selbstverständlich. Wenn man nun die Situation in einem Krisengebiet sieht, dann wird einem erst bewusst, welche Privilegien das eigentlich sind, die viele andere Länder leider nicht haben. Nichtsdestotrotz dürfen wir die Gefahr, die von Russland ausgeht für Europa, nicht unterschätzen.


STOL: Sie glauben also, dass sich dieser Krieg auf andere europäische Länder ausweiten könnte?
Prugger: Dieser Krieg findet ja hybrid statt, es ist ein Krieg der nicht nur militärisch, sondern auch cybertechnisch und medial geführt wird. Man braucht sich nur den jüngsten Abhörskandal bei der deutschen Luftwaffe anschauen, dann sieht man, dass der Krieg nicht nur in der Ukraine stattfindet. Viele von uns wollen das nur nicht sehen.

STOL: Tut sich eine Frau als Kriegsreporterin schwerer als ein Mann?
Prugger: Das kann ich nicht beurteilen. Aber diese Frage wird mir oft gestellt, den männlichen Kollegen aber nicht. Ich wäre dafür, dass man den männlichen Kriegsreportern diese Frage einmal stellt, damit sie sich bewusst sind, dass sie ständig einen männlichen Blick auf alles haben.

Es wird wahrscheinlich eine neue Mobilmachung geben.
Daniela Prugger, Kriegsreporterin


STOL: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selensky ist in den ersten Monaten des Krieges als Motivator aufgetreten. Die ukrainische Armee hat überraschenderweise Paroli geboten und ist nicht – wie Russland erhofft hat – nach wenigen Tagen eingebrochen. Wie groß ist der Widerstand des ukrainischen Heers mittlerweile?
Prugger: Die ukrainische Gesellschaft ist sehr kriegsmüde, aber der Widerstand ist immer noch groß. Die meisten Personen, mit denen ich spreche, sagen, dass keine andere Option gibt, als zu weiterzukämpfen und das Land zu verteidigen. Und sollte es Verhandlungen geben, müsse es auch Sicherheitsgarantien geben. Davon kann momentan aber keine Rede sein, ganz im Gegenteil: Es wird wahrscheinlich eine neue Mobilmachung geben.

STOL: Russland hat sich weder von den ökonomischen Sanktionen des Westens unter Druck setzen lassen, noch durch andere strategische Maßnahmen. Kann der Krieg gegen Russland gewonnen werden?
Prugger: Ich bin keine Militärexpertin, aber wir haben gesehen, dass die Ukraine auch Erfolge einfahren konnte gegen das russische Heer. Der Kriegsausgang wird davon abhängen, wie sehr die Ukraine vonseiten des Westens mit Waffenlieferungen und finanziellen Mitteln unterstützt wird. Und auch davon, ob es gelingt, die Ukrainer weiterhin dafür zu motivieren, für etwas zu kämpfen, für das es sich lohnt zu kämpfen. Man muss die Moral hochhalten. Aber momentan sind die Ukrainer zuversichtlich, dass sie den Krieg gewinnen können.

STOL: Bleiben Sie in der Ukraine, machen Sie weiter?
Prugger: Ja, momentan habe ich keine Absicht, meine Arbeit in Kiew aufzugeben.
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