Freitag, 4. August 2023

Spannender Schlussspurt: „Bei diesen Wahlen ist noch richtig Musik drin“

Im Rennen um die 35 Sitze im Landtag werden die Parteien und ihre Kandidatinnen und Kandidaten mit allen Kräften versuchen, noch schnell Stimmen zu sammeln. Wer hat tatsächlich Chancen, unentschlossene Wählerinnen und Wähler auf seine Seite zu ziehen? Und wo könnten diese zu holen sein?

Das Rennen um die Sitze im neuen Landtag ist noch keineswegs gelaufen. Wie eine Analyse zeigt, können einige Parteien noch kräftig zulegen, bei anderen ist nur noch wenig drin. - Foto: © GROPPO

Von:
Isabelle Hansen
Hermann Binkert vom Markt- und Sozialforschungsinstitut INSA-CONSULERE (Erfurt) nimmt die Daten der aktuellen Meinungsumfrage zur Landtagswahl in Südtirol unter die Lupe. Binkert sagt: „Bei diesen Wahlen ist noch richtig Musik drin“

Ihr Institut hat im Rahmen der Umfrage auch eine Potenzial-Analyse gemacht. Und die zeigt: Im Wahlverhalten der Südtiroler ist noch jede Menge Spielraum und damit könnte es für einzelne Parteien noch gehörig nach oben oder nach unten gehen. Auch ohne die zusätzlichen Listen, die bei der Umfrage noch gar nicht berücksichtigt werden konnten. Wie entscheidend ist für die Parteien jetzt ein „guter“ Wahlkampf?
Hermann Binkert: In der Tat ist bei diesen Landtagswahlen noch richtig Musik drin. Gerade das Team K oder auch die Grünen haben noch ein großes Potenzial an möglichen Wählern. Abgefragt haben wir dies mit der Frage, welche andere Partei, als die die man bei der Sonntagsfrage angegeben hat, man sich grundsätzlich vorstellen könnte zu wählen. Das heißt, es sind dies potenzielle Wähler, die man jedoch von anderen Parteien abwerben müsste. Könnten beispielsweise die Grünen ihr gesamtes Potenzial noch ausschöpfen, dann wären theoretisch bis zu 28 Prozent der Wählerstimmen für sie drin. Das Team K-Potenzial reicht bis auf 25 Prozent, und auch die SVP hat noch „Aufstiegschancen“ von bis zu 8 Prozentpunkten – und käme damit auf bis zu 45 Prozent. .

„Theoretisch“ weil die maximale Ausnutzung des Potenzials unwahrscheinlich ist?
Binkert: In der Tat. Denn die potenziellen Wähler kommen ja aus unterschiedlichen Lagern. Dass eine Partei all ihr Potenzial einsammeln kann, ist sehr unwahrscheinlich. Je nachdem, wie man den Wahlkampf aufzieht, spricht man die einen mehr, die anderen weniger an.

Also heißt es für die Parteien schauen, aus welchem Teich sich die meisten Fische holen ließen. Und den Wahlkampf darauf ausrichten?
Binkert: : Ganz so einfach ist es nicht, man darf ja auch seine Stammwähler nicht vergraulen.

Die SVP könnte den Grünen bis zu 3 Prozentpunkte abnehmen, die Grünen andersherum der SVP sogar bis zu 8 Prozentpunkte.
Hermann Binkert



Apropos Stammwähler. Sie haben auch sozusagen den „harten Kern“ der Wählerschaft herausgeschält. Also solche Wähler, die sich ihrer Wahlentscheidung sicher sind. Da sind ein paar bemerkenswerte Ergebnisse dabei....
Binkert: Aus der Differenz der „Sonntagswähler“ und der „sicheren Wähler“ können andere Parteien noch Stimmen gewinnen. Schaut man sich beispielsweise die SVP an, dann geben bei der Sonntagsfrage zwar 37 Prozent der Befragten an, sie würden SVP wählen. Aber nur 28 Prozent sagen, sie sind sich ihrer Entscheidung sicher. Die Differenz könnte der SVP also noch verloren gehen. Und dabei muss man dabei immer betonen, die Umfrage wurde gemacht, noch bevor es die Widmann-Liste gab.

Zurück zu den Potenzialen: Sie haben genau analysiert, in welcher Größenordnung jede Partei anderen Parteien Stimmen abwerben könnte. Das SVP-Potenzial von zusätzlichen 8 Prozentpunkten speist sich zu 37 Prozent aus dem Grünen Becken. Und andersherum kommt rund die Hälfte der potenziell zusätzlichen Grünenwähler (immerhin in einer Größenordnung von 16 Prozentpunkten) von der SVP.
Binkert: Diese beiden Parteien haben in der Tat bei den potenziellen Wählern große Überschneidungen. Die SVP könnte den Grünen bis zu 3 Prozentpunkte abnehmen, die Grünen andersherum der SVP sogar bis zu 8 Prozentpunkte. Aber auch zwischen SVP und Team K kann es noch ordentliche Verschiebungen geben. Für die SVP läge das Potenzial bei guten 2 Prozentpunkten. Für das Team K bei 7,5 Prozentpunkten.

Stammwähler halten, im Grünen Becken fischen: Das klingt für die SVP nach einem fast unmöglichen Spagat? Da tun sich die Grünen andersherum in ihrem Wahlkampf leichter?
Binkert: Ganz prinzipiell ist es immer schwieriger zu verteidigen als herauszufordern. Aber in diesem Fall ist es sicher einfacher für die Grünen, grüne Positionen so zu formulieren, dass sie auch für SVP-Wähler attraktiv sind, als es für die SVP ist, so grün zu werden, dass die Wähler nicht mehr das Original wählen. Aber ein Potenzial ist da.

Eine SVP, die nur 28 Prozent sichere Wählerstimmen hat und Grüne, mit einem maximalen Potenzial von 28 Prozent....
Brinkert: ... wäre ein Kopf-an- Kopf-Rennen? Nein, das sehe ich nicht. Rufen wir uns die Angaben bei der Sonntagsfrage zurück, dann sieht man schon eine SVP, die mit weitem Abstand vor allen anderen Parteien führt. Ein Potenzial haben und es abrufen können, sind 2 verschiedene Dinge.

Kaum Potenzial hat die SVP dagegen im rechten Lager. Weil die schon alle längst weg sind?
Binkert: Genau so ist es. Im rechten deutschsprachigen Lager spielt sich nicht mehr so viel ab. Diese Wählerschicht hat sich schon in vergangenen Wahlen den Freiheitlichen oder der Süd-Tiroler Freiheit zugewendet. Für die SVP ist da kaum etwas zu holen, zumal beispielsweise 3 Viertel der Freiheitlichen-Wähler (Sonntagsfrage) angeben, ihre Wahlentscheidung sei sicher. Mehr Potenzial haben die Freiheitlichen im SVP-Becken: Da könnte man sich noch bis zu 2,5 Prozentpunkte abzwacken. Anders sieht die Sache bei den beiden neuen Listen von Thomas Widmann bzw. Jürgen Wirth Anderlan aus. Hier müssen sich die Wähler ganz neu sortieren. Und das könnte auch zu Verlusten im deutschsprachigen rechten Lager führen. Für italienischsprachige Südtiroler aus dem rechten Spektrum ist die SVP eh keine Alternative..

Aus Ihrer Erfahrung heraus, wie wirken sich Koalitionsaussagen vor der Wahl aus? Schließlich denken ja nicht nur Politiker, sondern auch Wähler strategisch?
Binkert: Also etwa eine SVP-Aussage, man könne sich vorstellen mit den Grünen eine Koalition einzugehen, könnte gefährlich sein. Diejenigen eigenen Wähler, die das nicht gut finden, schreckt es ab. Und Wähler, denen grüne Positionen wichtig sind, wählen, wenn sie die Koalition schon sicher wähnen, eher den Partner, dessen Gewicht sie innerhalb der Koalition stärken wollen. Das gilt im übrigen auch für eine Festlegung in die andere Richtung. Wobei natürlich in Südtirol auch immer auf den Proporz zu achten ist, der hier Koalitionsentscheidungen maßgeblich beeinflusst. Aus Sicht der Wähler ist es natürlich wünschenswert, vor der Wahl zu erfahren, was einen nach der Wahl erwartet. Deshalb ist es für Parteien nicht nur gefährlich, sich zu erklären, sondern auch, auf Klarheit zu verzichten.

DIE UMFRAGE

An der im Auftrag der „Dolomiten“ durch das Erfurter Meinungsforschungsinstitut „INSA-CONSULERE“ durchgeführten Umfrage haben 1000 Personen aus Südtirol ab 18 Jahren teilgenommen; sie ist damit für Südtirol repräsentativ. Die Umfrage wurde zwischen 20. Juni und 25. Juli diesen Jahres durchgeführt, und zwar als sogenannte Modus-Mixta-Befragung, also telefonisch und online.


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