Sonntag, 7. Mai 2023

Energie: „Südtirol lässt eine enorme Chance einfach links liegen“

Die hohen Energiepreise haben Politik, Wirtschaft und Verbraucher in den vergangenen Monaten in arge Bedrängnis gebracht. „Ein Grund mehr für Südtirol endlich die Energieautonomie anzustreben“, sagt Rudi Rienzner, Geschäftsführer des Südtiroler Energieverbandes. Im Sonntags-Gespräch mit STOL erklärt er, welche enormen Chancen in diesem Bereich in der Vergangenheit verpasst wurden, welche Schritte notwendig wären, um die Energieautonomie umzusetzen und welchen Nutzen die Südtiroler Bevölkerung daraus ziehen könnte.

Rudi Rienzner: Südtirol könnte in Sachen Energie eigentlich autonom sein, es tut sich aber nichts.

Von:
Philipp Trojer
STOL: Herr Rienzner, im Mai 2022 hat sich ganz Europa die Frage gestellt, ob wir ohne Energielieferungen aus Russland über den Winter kommen. Stellt sich diese Frage heuer wieder?

Rudi Rienzner: Die Preisentwicklung ist derzeit schwer vorhersehbar. Wir haben seit 2 Monaten einen starken Rückgang der Strompreise. Derzeit liegen wir bei rund 12 Cent, was den Prognosen aus der Vergangenheit entspricht. Wie sich die Preise in Zukunft entwickeln werden, ist schwer abzusehen. Vor allem die Trockenheit könnte den Preis beeinflussen, da der italienische Energiemix zu 16 Prozent auf Wasserkraft basiert. Bleiben die Niederschläge aus, wird diese Komponente des Energiemixes ausfallen, was die Preise wieder in die Höhe treiben könnte. Ich gehe aber stark davon aus, dass wir Spitzenwerte wie im Juli und August 2022 – damals kostete der Strom etwa das Fünffache von heute – nicht mehr erreichen werden.

STOL: Zwar haben im vergangenen Jahr viele Experten vor einer Energieknappheit aufgrund der fehlenden Lieferungen aus Russland gewarnt, eingetreten ist dieses Szenario aber nicht. Was hat die Preise also so in die Höhe getrieben?

Rienzner: Unregelmäßigkeiten am Strommarkt waren bereits im ersten Pandemiejahr zu beobachten. Damals sind die Preise stark gefallen. Bereits Ende 2021 sind die Preise wieder deutlich gestiegen, obwohl es noch keinen Krieg in der Ukraine gab. Es ist wichtig zu wissen, dass die Strompreise in ganz Europa vom Gaspreis abhängen. In Italien sind wir besonders benachteiligt, weil die Quote für Gas höher ist als in anderen Ländern. Der Anstieg des Gaspreises im letzten Jahr ist sicherlich auch auf den Krieg in der Ukraine zurückzuführen, aber nicht ausschließlich. Spekulationen an der Börse haben auch zu den hohen Preisen beigetragen. An der Amsterdamer Börse wird Gas gehandelt und die Preise richten sich dort ausschließlich nach Angebot und Nachfrage – ohne jegliche Regulierung. Die EU ist dabei, diesem Mangel abzuhelfen, wenn auch langsam.

STOL: Warum gehen Sie davon aus, dass die Preise nicht mehr so stark steigen werden?

Rienzner: Es wurden verschiedene Maßnahmen getroffen, um ein solches Szenario in Zukunft zu verhindern: Etwa die 180-Euro-Deckelung durch die EU, an die sich auch Italien angepasst hat. Dazu die Regelung, dass Energieproduzenten ihre Mehreinnahmen an den Staat zurückführen müssen. Solche Maßnahmen sorgen dafür, dass wir solche extremen Spitzen beim Strompreis höchst wahrscheinlich nicht mehr erreichen werden. Gleichzeitig dürfen wir nicht vergessen, dass Strom heute zwar sehr viel billiger ist als im vergangenen Herbst, aber immer noch doppelt so viel kostet wie in der Zeit vor der Pandemie: Der durchschnittliche Preis in den vergangenen 10 Jahren lag bei 5,8 Cent.

STOL: Wie setzt sich der Strompreis in Südtirol zusammen?

Rienzner: Vor der Pandemie setzte sich der Strompreis zu einem Drittel aus Abgaben, zu einem Drittel aus Durchleitungsgebühren und zu einem Drittel aus dem tatsächlichen Energiepreis zusammen. In den vergangenen Monaten hat der Energiepreis natürlich einen deutlich höheren Anteil ausgemacht. Außerdem hatte die italienische Regierung teilweise einige Abgaben ausgesetzt, um die Preisexplosion einzudämmen. Diese Maßnahmen laufen nun nach und nach aus. Aus diesem Grund ist der Endpreis etwa bei der Gasrechnung im April wieder gestiegen, obwohl der Rohstoffpreis weiter gesunken ist.

Gleichzeitig dürfen wir nicht vergessen, dass Strom heute zwar sehr viel billiger ist als im vergangenen Herbst, aber immer noch doppelt so viel kostet wie in der Zeit vor der Pandemie.
Rudi Rienzner, Geschäftsführer des Südtiroler Energieverbandes



STOL: Und wer bestimmt aktuell über die Strompreise in Südtirol?

Rienzner: Die Preise werden an der Strombörse GME (Gestore dei Mercati Energetici) auf staatlicher Ebene zentral durch Stromangebots- und Stromnachfragekurve bestimmt. Der Preis für Stromverbraucher setzt sich italienweit – also auch in Südtirol – als Mittelwert (PUN) aus den einzelnen 7 Zonenpreisen zusammen (Nord, Mitte-Nord, Mitte-Süd, Süd, Kalabrien sowie den beiden Inseln). Diese Zonenpreise dienen als Referenzpreis für das Stromangebot. Der italienweite Mittelwert (PUN) gilt bei den meisten Stromangeboten als Referenzpreise: Der Endpreis steigt und fällt also mit dem auf der Strombörse festgelegten Grundpreis.

Hätten wir die Energieautonomie bereits in den vergangenen Jahren umgesetzt, hätten wir die Situation im Herbst und Winter 2022 in Südtirol so nie erlebt.
Rudi Rienzner, Geschäftsführer des Südtiroler Energieverbandes



STOL: Seit geraumer Zeit wird diskutiert, dass Südtirol autonom über den Strompreis bestimmen sollte. 2 Gutachten haben bestätigt, dass es dies auch kann. Was fehlt ist eine eigene Regulierungsbehörde.

Rienzner: Südtirol unterscheidet sich in Sachen Energie so wie auch in vielen anderen Bereichen komplett vom restlichen Staatsgebiet. Wir haben hierzulande 48 Energieverteiler – in ganz Italien gibt es 129. Das allein zeigt, dass die Situation in Südtirol völlig anders ist als in anderen Regionen Italiens und wir damit auch ein völlig anderes Gestaltungsbedürfnis haben. Die eigene Regulierungsbehörde ist das Instrument, das uns noch fehlt, um die Energieautonomie umzusetzen. Seit der Liberalisierung des Energiemarktes im Jahr 1999 sind wir das Thema Energieautonomie immer wieder angegangen: Leider 24 Jahre lang erfolglos gegen starken Widerstand. Die Preisexplosionen im vergangenen Jahr haben dazu geführt, dass diesem Thema nun wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Damals wurde uns vorgeworfen, dass die Energieautonomie keine kurzfristige Lösung sei, um die Preisexplosionen schnell in den Griff zu bekommen. Ich sehe das ganz anders: Hätten wir die Energieautonomie bereits in den vergangenen Jahren umgesetzt, hätten wir die Situation im Herbst und Winter 2022 in Südtirol so nie erlebt. Die hohen Strompreise haben also nur neuerlich unterstrichen, dass wir dieses Thema endlich angehen müssen. Im Übrigen ist die autonome Preisgestaltung nur einer der vielen Vorteile, die Südtirol sich durch eine Energieautonomie sichern könnte.

STOL: Welche wären das?


Rienzner: Eine Energieautonomie könnte Südtirol bei der Energiewende entscheidend voranbringen. Experten betonen immer wieder, dass die Dezentralisierung der Energiekreisläufe – Strom wird dort verbraucht, wo er erzeugt wird – ein zentraler Schritt in Richtung erneuerbare Energien ist. In Südtirol gibt es bereits solche dezentralen Energiekreisläufe in Form von Genossenschaften oder Stadt- bzw. Gemeindewerken, die zu 100 Prozent erneuerbare Energien erzeugen und damit die Energiewende bereits vollzogen haben. Solche Modelle, in denen sich Energiekreisläufe schließen, gibt es in ganz Europa – auch in Millionenstädten wie München. Durch die Wasserkraft haben wir in Südtirol die Voraussetzung, diese Modelle umzusetzen, aber uns fehlen die Gestaltungsmöglichkeiten. Wir profitieren derzeit nicht von den erneuerbaren Energien, die wir in das zentrale System einspeisen. Autonomie bedeutet Unabhängigkeit: Also unabhängig durch die eigenen Ressourcen leben zu können. Unsere wichtigste Ressource in Südtirol ist die Wasserkraft, über die wir gestalterisch verfügen können müssen. Die EU macht Vorgaben im Energiebereich mit einem großen Spielraum bei der Umsetzung. Diesen Spielraum überlassen wir komplett der Regierung in Rom, obwohl die rechtlichen Voraussetzungen gegeben wären, dass Südtirol die gestaltende Rolle übernehmen könnte.

STOL: Warum lässt sich Südtirol diese Chancen entgehen?


Rienzner: Die Suche nach einer Antwort auf diese Frage bereitet mir seit geraumer Zeit Kopfzerbrechen. Was aktuell fehlt, ist sicher der Dialog mit den Entscheidungsträgern. Wir stoßen mit diesem Anliegen leider immer wieder auf taube Ohren. Als wir im vergangenen Jahr das Thema Energieautonomie abermals an die Politik herangetragen haben, bekamen wir als Antwort, dass es sich dabei um keine schnelle Lösung handle, um die hohen Strompreise abzufedern. Das stimmt: Ein solches Unterfangen braucht Zeit, umso mehr sollte es endlich angegangen werden. Besonders schade finde ich, dass dieses Thema jetzt im Hinblick auf die Landtagswahlen politisch ausgeschlachtet wird. Dieses Thema sollte kein Politikum sein. Energieautonomie ist aufgrund der Rechtslage möglich, das ist Fakt. Fakt ist auch, dass sie nicht von heute auf morgen erreicht werden kann, sondern wie viele andere Autonomiemaßnahmen schrittweise umgesetzt werden muss. Dass die Politik ständig nach Gründen sucht, warum es nicht geht, ist eine Frechheit. Vielmehr sollten sich alle Beteiligten um jeden noch so kleinen Schritt bemühen, der uns der Energieautonomie näher bringt. Das „System Strom“ hat sich in Italien in den vergangenen 30 Jahren entwickelt; sich jetzt davon zu lösen, ist sicher mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Aber wichtig ist, dass wir endlich damit anfangen.

STOL: Wenn Südtirol auch in Zukunft noch keine Energieautonomie hat, kann man also niemandem einen Vorwurf machen, außer dem Land Südtirol selbst?

Rienzner: Genau so ist es. Es liegt in unserer Hand. Die Voraussetzungen sind gegeben, es muss sich nur darum gekümmert werden. Und das passiert nicht.

STOL: Was muss auf dem Weg zur Energieautonomie konkret unternommen werden?

Rienzner: Zunächst muss das Autonomiestatut angepasst werden, weil Durchführungsbestimmungen alleine noch nicht reichen. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen, die Vergangenheit hat aber gezeigt, dass es sehr wohl möglich ist, das Statut anzupassen. Es braucht mit Sicherheit Verhandlungsgeschick und Einsatz unserer Politiker, aber dafür sind sie schließlich gewählt und können auf jegliche Unterstützung unsererseits zählen. Sollte eine Änderung des Autonomiestatutes eine zu große Hürde darstellen, muss man sehen, was man anhand von Durchführungsbestimmungen basierend auf der bestehenden Autonomie erreichen kann. Es wäre schon ein erster wesentlicher Schritt, wenn Südtirol beim Thema Energie Vetorechte bekommen würde, wie es beim Wasser seit kurzem der Fall ist. Für mich ist es unverständlich, warum die Energie hier nicht mit aufgenommen wurde.

Das „System Strom“ hat sich in Italien in den vergangenen 30 Jahren entwickelt; sich jetzt davon zu lösen, ist sicher mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Aber wichtig ist, dass wir endlich damit anfangen.
Rudi Rienzner, Geschäftsführer des Südtiroler Energieverbandes


STOL: Fehlt in Südtirol schlicht die Kompetenz um dieses Thema anzugehen?


Rienzner: Das würde ich schon sagen, vor allem fehlt Kompetenz bei der Heimholung der Energie: Diese hat physisch zwar stattgefunden, auf das System einwirken konnte Südtirol aber nicht. Kompetenz in Sachen Energie aufzubauen, ist aber unerlässlich, das hat uns nicht zuletzt der Krieg in der Ukraine gezeigt. Hier kommt die Regulierungsbehörde in Südtirol wieder ins Spiel: Eine solche Behörde ist mit Fachleuten besetzt und bringt Kompetenz ins Land. Diese Kompetenz aufzubauen und zu fördern hat Südtirol in den vergangenen Jahren verpasst, auch weil es nicht notwendig war. Das war aber höchst fahrlässig; vor allem wenn man bedenkt, dass Südtirol mit seiner Wasserkraft ein enormes wirtschaftliches Potenzial nicht voll ausnutzt.

STOL: Was hätten die Südtiroler Verbraucher von einer Energieautonomie?

Rienzner: Für die Verbraucher sind natürlich vor allem die Preise interessant. Ein gutes Beispiel wie es in Südtirol funktionieren könnte, sind die historischen Genossenschaften, die seit jeher vom staatlichen Energiesystem entkoppelt sind: Deren Preise sind 30 bis 50 Prozent niedriger als die Preise, die auf staatlicher Ebene bestimmt werden. Wären wir in ganz Südtirol eigenständig, wie es diese Genossenschaften bereits sind, dann sind das realistische Werte für das ganze Land. Und besonders wenn die Stromkosten so hoch sind wie im vergangenen Jahr, dann sprechen wir von bedeutenden Summen für die Verbraucher. Was eine Entkoppelung vom staatsweiten System bedeutet, sehen wir auch am Beispiel der Fernheizwerke: Diese haben im vergangenen Jahr keine Teuerung erfahren – trotz Gaskrise. Man sieht also, dass Südtirol in Sachen Energie in den vergangenen Jahren viel versäumt und ein enormes Potenzial links liegen gelassen hat. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen geben uns eine große Chance, die wir jetzt nutzen müssen.

Hier finden Sie alle STOL-Sonntagsgespräche im Überblick.


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