Donnerstag, 31. August 2023

Angst vor dem Partner: „Hätte nie gedacht, dass mir so etwas passieren könnte“

„Er kannte meine Schwachpunkte und hat sie ausgenutzt“, sagt Nadja. 5 Jahre lang war sie den Attacken und Manipulationen ihres gewalttätigen Partners ausgesetzt. „Ich war kaum in der Lage, selbst nach Hilfe zu rufen.“ Von ihren Nachbarn, ihren Verwandten und Bekannten hätte sie sich gewünscht: „Dass sie mich sehen oder hören.“ Was Nadja erlebt hat, passiert auch anderen Frauen in Südtirol, meistens im Verborgenen. STOL hat sie ihre Geschichte erzählt.

Wenn man Zeuge von Gewalt wird, sollte man gleich die Polizei rufen. - Foto: © dpa-tmn / Jonas Walzberg

Von:
Katrin Niedermair
Nadja lebt in Südtirol. Seit 2 Jahren wohnt sie wieder bei ihren Eltern. „Obwohl ich mich lange gesträubt habe, zu ihnen zurückzuziehen“, sagt sie. „Ich habe mir von ihnen helfen lassen. Meinen Stolz habe ich dafür beiseitegelassen.“ Es war die richtige Entscheidung, sagt sie.

„Wenn ich heute auf die 5 Jahre meiner Beziehung zum Vater meines Sohnes zurückschaue, ist es, als wäre es ein anderes Leben gewesen. Ich war nicht ich selbst; an vieles kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Es ist, als wäre ich aus einer Art Ohnmacht aufgewacht. Es war ein ständiger emotionaler Ausnahmezustand.“

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Der ist nun vorbei. Und Nadja möchte ihre Geschichte erzählen. Eine Geschichte, die viele Frauen teilen. „Wer es nicht selbst erlebt hat, kann es kaum nachvollziehen“, sagt Nadja.

Habt Mut und glaubt an euch, ihr habt mehr Stärke, als ihr euch in dieser Situation bewusst seid. Lasst Hilfe zu, Schritt für Schritt werdet ihr euch wieder finden und euren Weg meistern – besser und schöner als je zuvor.
Nadja möchte Frauen, die Ähnliches wie sie erleben, Mut machen.

Jung und frei – und dann das

Nadja sagt, sie hätte nie geglaubt, dass sie sich einmal in einer solchen Situation wiederfinden würde: „Ich hatte ein selbstständiges Leben, einen tollen Job, eine Wohnung, ein Auto. Ich war jung und frei. Mich schockiert es selbst, dass ausgerechnet mir das passiert ist“, sagt sie nachdenklich. „Als wir uns kennenlernten, wollte ich gar nicht unbedingt einen Freund haben.“

Der Mann, der Nadjas Leben aus den Angeln heben wird, ist anfangs charmant, lustig, herausfordernd, geheimnisvoll, sagt sie. Das habe sie gereizt, glaubt Nadja heute. „Ich wusste, dass er es im Leben nicht immer ganz leicht gehabt hatte. Ich hatte das Gefühl, ich muss oder kann ihm helfen.“ Aus einer lockeren Liaison wird innerhalb weniger Wochen Ernst. „Ich hatte mich verliebt. Es ist ganz schnell gegangen – und dann war ich gefangen.“

Viele Bekannte und Freunde raten ihr von der Beziehung gleich zu deren Beginn ab. „Alkohol und Drogen waren in seinem Leben ein Thema. Und das wussten die Leute auch. Trotzdem sind wir bald zusammengezogen.“ In seine Wohnung. Ihre gibt Nadja auf. Bereits da gibt es die ersten Auseinandersetzungen.

„Ich war schon im Teufelskreis gefangen“, glaubt sie heute. „Und ich war schwanger.“ Sein Drogenproblem verschlimmert sich. Die Schuld dafür gibt er ihr. Eine Paartherapie soll die Konflikte lösen. Doch sie verläuft nicht so wie erhofft: „Ständig hat nur er geredet. Ich bin mir total blöd vorgekommen, nur stumm dabeigesessen.“ Was er ihr bereits damals antut, sagt sie der Therapeutin nicht.

Nach wenigen Monaten schwanger – und Stöße in den Bauch

„Eigentlich hat er sich sehr auf das Kind gefreut. Er wollte immer eine Familie“, sagt Nadja. Regelrecht „hineingesteigert“ habe er sich. „Diese Zeit war eine Katastrophe: Drogen, Alkohol, Phasen tiefer Abgründe. Er war extrem aggressiv und beleidigend, hat mich angespuckt, eingesperrt und in den Bauch gestoßen. Mehr abgewertet als ich damals kann man sich nicht fühlen. Ich habe mich gewehrt. Aus heutiger Sicht ist es für mich selbst kaum zu glauben, dass ich so werden konnte.“

Bei der Therapie berichtet sie von alldem nichts. „Ich wollte die Beziehung retten.“ Dabei rät die Therapeutin, es sei besser, dass sich die beiden trennen. Doch dazu kommt es nicht.

„Bin schreiend aus der Wohnung gerannt“

„Dass wir das Kind erwarteten, war für mich Anlass, ihm noch eher alles nachzusehen. Ich wollte die Familie zusammenhalten. Wir haben auch versucht, sein Umfeld zu wechseln und sind eine Weile fortgezogen.“ Zu ihren eigenen Freunden verliert Nadja den Kontakt. „Ich wollte von ihnen nicht hören, wenn sie mir sagten, ich solle mir nicht alles gefallen lassen…so war das eben.“

Wenige Wochen nach der Geburt des Sohnes eskaliert die Situation. Er schlägt auf sie ein, das kleine Söhnchen ist anwesend. „Sogar dafür hat er mir die Schuld gegeben. Wie ich das verantworten könne, meinte er. Ich bin im Schockzustand auf die Straße gerannt“, erinnert sie sich. „Ich konnte nicht mehr sprechen. Nur Nachbarn bitten, dass sie die Carabinieri rufen. Mein Handy hatte mir mein Partner vorher entrissen.“

Doch das tun die Nachbarn nicht. „Sie wussten nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollten“, sagt Nadja, fast entschuldigend. Denn während Nadja aufgelöst auf der Straße steht, gesellt sich ihr Peiniger dazu – davon, was gerade hinter verschlossenen Türen geschehen ist, ist ihm nichts anzumerken. „Er konnte sich innerhalb weniger Minuten völlig fangen. Mich hat er so dargestellt, als hätte ich ein psychisches Problem.“

Hilfe bekam sie erst vom Hausarzt. „Er hat mir gesagt, ich sollte Anzeige erstatten.“ Dazu überwindet sich Nadja nicht. „Ich war zu diesem Zeitpunkt komplett ökonomisch und psychisch vom Vater meines Kindes abhängig und hatte keine Kraft für weitere Schritte. Ich dachte, ich könnte es nicht alleine schaffen und glaubte weiterhin seinen Lügen, dass er sich ändern würde, und schenkte ihm weiterhin mein Vertrauen.“

An Zeugen: „Fragen Sie nach, schreiten Sie ein!“

Tröstlich ist für sie, als sie später erfährt, eine andere Nachbarin hat bei den Carabinieri Bericht erstattet. „Doch weil sie das erst am nächsten Tag tat, konnten sie anscheinend nichts weiter unternehmen.“ Allen, die Zeugen von Gewalt an Frauen?utm_campaign=click-on-tag' target='_blank'>Gewalt an Frauen werden, rät sie: „Fragen Sie nach. Auch nach einer akuten Situation. Nach einer solchen Ausnahmesituation erinnert man sich als Opfer nicht mehr daran, wer geholfen hat, wer Zeuge war, wer einen angesprochen hat: Man erkennt den Helfer später nicht mehr. Oft war ich auch einfach froh, wenn jemand nett zu mir war und mich gefragt hat, wie es mir geht.“

Nadjas Partner beginnt eine mehrmonatige Entziehungskur. Sie wartet daheim auf ihn. „Er hat mir vorgeworfen, ich wollte ihm den Sohn nehmen, ich sei Schuld an allem. Ich wollte ihn unterstützen, damit er sein Leben auf die Reihe bekommt. Wir hatten ja auch friedliche Phasen gehabt“, meint sie heute. „Nach der Kur ging es ein paar Wochen gut, dann war alles wieder beim Alten – besonders mit dem Alkohol. Eine Sucht ist eine Sucht. Die Leute sind krank. Die ändern sich nicht so leicht. Ich glaube nicht, dass er das jemals verstehen wird.“

Dabei sei er eigentlich ein guter Vater. „Wirklich. Nur mir will er schaden.“ Der kleine Sohn – damals bereits im Kindergartenalter – gibt schließlich den Ausschlag, dass Nadja ihre Sachen packt: „Als er mir klarmachte, wie traurig es ihn macht, mich so zu sehen, war für mich klar: Ich muss gehen, um uns beide zu schützen.“

Bis heute ist nicht alles zwischen den beiden geklärt, das Gerichtsverfahren um das Sorgerecht für den Kleinen nicht abgeschlossen. „Es dauert alles sehr lange. Ich weiß ehrlich nicht, ob ihm das alles nicht bewusst ist. Er gibt immer noch mir die Schuld an allem, wirft mir vor, ich wollte ihm das Kind nehmen.“ Nadja will den Umgang zwischen Vater und Sohn nicht verhindern. „Wenn er sich dem Kleinen gegenüber gut benimmt, habe ich nichts dagegen. Obwohl ich weiß, dass er vor dem Kind schlecht über mich redet…“

„Diesen Männern kann man nur helfen, indem man geht“

Ein Annäherungsverbot an sie besteht. „Dass ich bei meiner Familie wohnen kann, gibt mir Sicherheit. Man muss klein anfangen: Einen Ort finden, wo man sich selbst und wo sich die Kinder wohl fühlen.“

Heute sagt sie: „Ich schaue auf das Positive. Ich habe viel gelernt: Dass eine Trennung in einer solchen Situation unumgänglich ist. Sonst vegetierst du dahin, damit es dem anderen gut geht. Diesen Männern kann man nicht helfen – nur, indem man geht. Wenn man dem gewalttätigen Partner signalisiert, dass er alles mit dir tun kann, wird er sich nie ändern.“


Vieles, was in den vergangenen 5 Jahren passiert ist, hat Nadja verdrängt. „Es ist, als hätte ich einen Blackout gehabt.“ Doch eines weiß sie: „Wenn ich daran denke, dass es Frauen gibt, die so etwas 30 Jahre lang ertragen müssen – das sollte es nicht geben.“ Jeder sei gefordert: „Nur, weil einer gut daherreden kann, heißt das nicht, dass es auch stimmt. Seien wir wachsam.“

An Angehörige von Betroffenen gerichtet sagt sie: „Jede kleine Hilfestellung, jedes nette Wort und jede eventuelle anonyme Meldung bei den Carabinieri kann hilfreich sein.“

Nadjas Botschaft an Betroffene von Gewalt: „Habt Mut und glaubt an euch, ihr habt mehr Stärke, als ihr euch in dieser Situation bewusst seid. Lasst Hilfe zu, Schritt für Schritt werdet ihr euch wieder finden und euren Weg meistern – besser und schöner als je zuvor.“

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