Mittwoch, 18. Oktober 2023

Als Kindergärtnerin von Bayern nach Südtirol: Eine Geschichte des Scheiterns

Sibylle* kommt aus Niederbayern und ist dort leitende Erzieherin in einem Kindergarten. Alle Ausbildungsstufen, die man in Deutschland in diesem Bereich erklimmen kann, hat Sibylle absolviert. 7 Jahre lang hat das gedauert. Damit, so dachte sie, könnte sie bestimmt auch in Südtirols Kindergärten einen guten Job finden. Wie sich herausstellte, lag Sibylle mit dieser Vorstellung falsch. Vom System enttäuscht, kehren sie und ihr Partner, ein Südtiroler Maschinenbauingenieur, dem Land jetzt den Rücken. Ein Erfahrungsbericht, der zeigt, was hinter dem vielbeklagten Brain-Drain aus Südtirol stecken kann.

In Bayern Kindergartenleiterin, in Südtirol nicht einmal Hilfskraft? Der Erfahrungsbericht von Sibylle zeigt, dass es Südtirol Bewerbern aus anderen EU-Ländern nicht gerade einfach macht, den hiesigen Fachkräftemangel zu mildern. - Foto: © Shutterstock / shutterstock

Als Sibylle (Anm.: Name von der Redaktion geändert) der Liebe wegen nach Südtirol kommen wollte, wusste sie, dass es einige Hürden geben würde, bevor sie ihren Job südlich des Brenners ausüben könnte: „Ich konnte natürlich kaum Italienisch, aber ich war sehr motiviert, es zu lernen“, sagt sie. Die Berufsausbildung hatte sie ja in der Tasche – „und dass es im Bereich einen Fachkräftemangel gibt, kann man ja immer wieder in den Zeitungen lesen“, sagt sie.

Doch Sibylle staunte nicht schlecht, als man ihr beschied, als Kindergärtnerin könne sie hier nicht arbeiten – dazu fehle ihr der akademische Abschluss. Ihr deutscher genüge nicht. „Ich habe eine 5-jährige Ausbildung an einer Fachakademie hinter mir. Darauf aufbauend habe ich einen Bachelor an der Hochschule für Angewandte Sozialwissenschaften in München gemacht – ,Bildung und Erziehung im Kindheitsalter‘. 2015 war ich mit meiner Ausbildung fertig. Schon vor dem Studium hatte ich 2 Jahre als Gruppenleiterin in einem Kindergarten gearbeitet. Insgesamt hatte ich 5 Jahre Berufserfahrung, als ich mich heuer bewerben wollte.“

Ohne Masterabschluss – keine Kindergärtnerin

Doch den Wind habe man ihr ganz schnell aus den Segeln genommen. „Ich habe kein Masterstudium, deswegen ist meine Ausbildung als Kindergärtnerin für Südtirol unzureichend“, sagt Sibylle. Ihr sei nur die Möglichkeit geblieben, es über den Weg der Direktberufung zu versuchen.

Auf ihre entsprechende Bewerbung im Mai dieses Jahres habe sie erst keine Rückmeldung erhalten. „Als dann wenige Wochen vor Ferienende ein Angebot für eine Jahresstelle als Springerin kam, hätte ich gar nicht zusagen können – schließlich habe ich in Bayern die Kündigungsfrist von 3 Monaten einzuhalten.“

Seit über 1,5 Jahren bemüht sich Sibylle darum, dass sie ihren Beruf in Südtirol ausüben kann. Jetzt gibt sie auf. - Foto: © Shutterstock / shutterstock



Doch damit der Fallstricke im Südtiroler System nicht genug: „Eine Direktberufung ist natürlich keine Festanstellung, als Springerin hätte ich im Südtiroler Kindergarten nur als Zweit- oder Drittkraft arbeiten können. In Bayern war ich immer Gruppenleiterin.“ Um ins System zu kommen, hätte Sibylle den Masterabschluss nachholen müssen. „Ich war zu dem Zeitpunkt schon 28. Noch einmal 2 Jahre zu studieren – das ist für mich keine Option.“

„1000 Euro netto weniger – das ist schon happig“

Es hätte für Sibylle noch einen Weg in die Welt der Südtiroler Früherziehung gegeben: als pädagogische Mitarbeiterin. Für dieses Berufsbild genügt eine einjährige Ausbildung, dazu mehrere Praktika. „Ich habe mich in die Rangordnung der pädagogischen Mitarbeiterinnen eintragen lassen. Nach einem längeren Verfahren hatte man meine Ausbildung wenigstens für diesen Weg anerkannt.“ Doch als pädagogische Mitarbeiterin würde Sibylle natürlich wesentlich weniger verdienen als eine Kindergärtnerin – und all die Jahre ihrer Ausbildung wären umsonst gewesen.

Als sie schließlich wenige Wochen vor ihrem erhofften Arbeitsbeginn erfuhr, auf welchem Platz der Rangordnung der pädagogischen Mitarbeiterinnen sie gelandet war, da war die Verblüffung groß: „Ich war auf einem der letzten Plätze, in der dritten Ebene. In der zweiten Ebene waren Leute, die Null Punkte für Ausbildung und Erfahrung haben, aber die Zweisprachigkeitsprüfung. Das fand ich schon kurios.“

Parallel hat sich Sibylle auch bei privaten Einrichtungen beworben: „Die Kita-Verantwortlichen sagten mir, ich könnte mit 1300 Euro netto rechnen. Da musste ich schon schlucken. In Bayern verdiene ich als Kindergärtnerin 2300 Euro. Dass die Gehälter in Südtirol niedriger sind, weiß ich – aber auf 1000 Euro im Monat zu verzichten, das ist schon happig. Und nur deshalb, weil meine deutsche Ausbildung südlich des Brenners nicht anerkannt wird.“

Insgesamt empfinde sie das System als wenig sinnvoll: „Ich konnte mich eigentlich nirgendwo vorstellen.“

Ihr Südtiroler Partner zieht mit nach Bayern

Sibylle und ihr Partner haben sich inzwischen für Deutschland entschieden. „Mir tut es sehr leid – von den zuständigen Stellen in der Verwaltung hatte man mir zugesagt, ich könnte auch eine Prüfung ablegen, um meine Qualifikation nachzuweisen – was ich sehr positiv finde.“ Doch auf mehrmalige Nachfrage habe es geheißen, die entsprechende Prüfung sei noch nicht ausgearbeitet. „Im Juni habe ich dann erfahren, ich könnte im italienischen Konsulat in München eine Wertebescheinigung einholen, die mir helfen würde, meine Ausbildung anzuerkennen. Doch der Kontakt mit dem Konsulat ist schwierig – bisher ausschließlich per Mail. Ich nehme an, ich bin nicht die Einzige mit dem Problem, dass die Anerkennung des Titels eines anderen EU-Landes eine Hürde ist. Das ist sehr frustrierend.“

Noch sei nicht aller Tage Abend, „vielleicht kommen wir in ein paar Jahren doch nach Südtirol – mein Partner hängt wirklich sehr an seiner Heimat. Aber einstweilen zieht er zu mir nach Bayern.“

kn

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