Donnerstag, 17. August 2023

Schlanders: „Justiz und Gesetz haben versagt“

Laut der Schlanderser Gemeindereferentin Dunja Tassiello habe jeder im Dorf von der Gewalt gegen Celine Frei Matzohl gewusst. Bei der Gemeinde sei der Fall aber nie angezeigt worden. „Das Grundproblem ist aber ein anderes: Es gab eine Anzeige, sie wurde von den Carabinieri nach Bozen weitergeleitet. Was hat man dort für dieses arme Mädchen getan?“, fragt Tassiello.

Celine Frei Matzohl wurde am Sonntag – an ihrem 21. Geburtstag – erstochen in der Wohnung von Omer Cim aufgefunden. Sie hatte bereits im Juni gegen ihn Anzeige erstattet. - Foto: © privat

Auch Dunja Tassiello selbst ist ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, nachdem sie in einem Interview gesagt hatte, die Gewalttätigkeit von Omer Cim gegenüber Celine Frei Matzohl sei bekannt gewesen.

„Ich habe mir erlaubt, darüber zu sprechen“, sagt sie auf Anfrage von STOL. „Ich weiß es von Freunden von Celine. Im Dorf wird darüber geredet, dass der junge Mann schon einmal die Hand gegen sie erhoben hat.“

Omer Cim (28) ist in Untersuchungshaft im Bozner Gefängnis. Er gilt als tatverdächtig.

„Anzeige ist ein Hilferuf“

Bei der Gemeinde sei der Fall nie angezeigt worden. „Das Grundproblem ist aber ein anderes: Es gab eine Anzeige, sie wurde von den Carabinieri nach Bozen weitergeleitet. Was hat man dort für dieses arme Mädchen getan?“, fragt Tassiello.

„Wenn ein Elternteil Anzeige erstattet, weil die Tochter vom Freund misshandelt wird, dann müssen die zuständigen Stellen aktiv werden. Wer schützt junge Frauen in solchen Situationen? Welche Hilfe hat die Staatsanwaltschaft diesem armen Mädchen und seiner Familie gegeben? Das müssen wir uns fragen.“ Wie sich jetzt auf dramatische Weise gezeigt habe, sei es zu wenig gewesen.

Wenn ein Elternteil Anzeige erstattet, weil die Tochter vom Freund misshandelt wird, dann müssen die zuständigen Stellen aktiv werden. Wer schützt junge Frauen in solchen Situationen? Welche Hilfe hat die Staatsanwaltschaft diesem armen Mädchen und seiner Familie gegeben?
Dunja Tassiello, Gemeindereferentin in Schlanders


Aber wenn alle im Dorf von der Gewalt wussten, warum ist dann niemand vor Ort eingeschritten? Dunja Tassiello sagt: „Das sind Privatangelegenheiten. Darüber reden die Betroffenen nicht im Dorf. Es ist schon viel, wenn eine junge Frau den Mut findet, sich an ihre Familie oder Freunde zu wenden. Aber in dem Moment, wo es eine Anzeige gibt, muss etwas passieren. Wir hier vor Ort können nichts tun. Freunde und Familie haben im Rahmen ihrer Möglichkeiten geholfen, das getan, was in ihrer Macht stand. Sie haben sich etwas erwartet, als sie Anzeige erstatteten. Aber wenn dann nichts mehr passiert: Was sollen sie dann tun? Selbstjustiz üben?“

Dass auch sie als Gemeinderätin nichts unternommen habe – diesen Vorwurf weist Tassiello zurück: „Niemand ist auf mich zugekommen. Es wurde Anzeige erstattet! Aber dann ist alles stehengeblieben. Wir müssen uns fragen: Wie kann es sein, dass nach einem Code Rot niemand etwas tut?“

Staatsanwaltschaft: „Keine vorsorglichen Maßnahmen möglich“

Die Staatsanwaltschaft Bozen hat diese Frage bereits am Montag schriftlich beantwortet (STOL hat berichtet): „Frau Frei Matzohl hat im Juni eine Anzeige erstattet, in der sie einen einzigen Vorfall meldete, der sich ereignete, als sie mit ihrem Partner in einem Auto unterwegs war und bei dem er sie geschlagen und bedroht haben soll. Die Carabinieri meldeten den Vorfall sofort als ,Code Rot‘ und als solcher wurde er behandelt, was bedeutet, dass er nach dem internen Protokoll der Staatsanwaltschaft absoluten Vorrang vor den anderen Fällen hatte. Da es sich um einen einzigen Vorfall handelte und die Ermittlungen abgeschlossen waren, wurde Anklage wegen des Verstoßes gegen Artikel 581 des Strafgesetzbuches (Körperverletzung) und Artikel 612 Absatz 2 des Strafgesetzbuches (schwere Bedrohung) erhoben. Für diese Straftaten können keine vorsorglichen Maßnahmen beantragt werden. Es liegen keine weiteren Anzeigen und/oder Berichte vor.“

„Die Bürger fühlen sich im Stich gelassen“

„Eine Anzeige soll nicht ausreichen?“, ärgert sich Dunja Tassiello. „Eine Anzeige ist ein Alarmsignal. Dem müssen die zuständigen Stellen rigoros nachgehen und nachschauen, was los ist.“

Eine Anzeige und ein Code Rot seien ein Hilferuf: „Ein Hilferuf, der nicht beantwortet worden ist – weder dem Mädchen noch seiner Familie ist geholfen worden. Warum ist nach der Anzeige nicht reagiert worden? Dieses Drama hätte verhindert werden können, wenn etwas zum Schutz der jungen Frau unternommen hätte. Man hätte jemanden schicken sollen, der mit der jungen Frau und dem jungen Mann spricht – was auch immer. Etwas unternehmen!“

Justiz und Gesetz hätten versagt, sagt die Gemeindereferentin. „Vieles ist hier schiefgelaufen. Ändern wir die Gesetze. Versuchen wir, für Gerechtigkeit zu sorgen. Die Bürger fühlen sich im Stich gelassen.“

Zum Thema: Rechtsanwältin Ulrike Oberhammer erklärt, was bei einer Anzeige beachtet werden muss – und auch sie fordert strengere Gesetze.

kn

Stellenanzeigen


Teilzeit






Teilzeit





powered by
Kommentare
Kommentar verfassen
Bitte melden Sie sich an um einen Kommentar zu schreiben
senden
Hermann Zanier
17. August 2023 07:12