Montag, 4. Dezember 2023

Lawinen: „Im Moment ist einfach Zurückhaltung angesagt“

Kommt der Schnee, geht es für viele Wintersportler richtig los. Immer wieder werden Menschen bei Lawinenabgängen verletzt oder sterben. So auch am vergangenen Wochenende. Thomas Mair ist Ausbildungsleiter der Bergrettung Südtirol und ist verantwortlich für die technische Ausbildung aller Bergretter im Land. Im Interview spricht er über die aktuelle Gefahrenlage, zum Thema Sicherheit am Berg und was er sich für die Wintersaison wünscht.

„An den Verhältnissen kann man nicht viel ändern, an der Gruppe eigentlich auch nicht. Aber man kann beeinflussen, welche Tour man wählt. “ – Thomas Mair. - Foto: © shutterstock

Von:
Valentina Tanner
STOL: Wie schätzen Sie die Gefahrenlage ein?
Thomas Mair: Momentan ist die Gefahrenlage relativ kritisch. Einfach dadurch bedingt, dass wir starke Windeinflüsse gehabt haben, starke Niederschläge – vor allem im Bereich Alpenhauptkamm und auch im Ortlergebiet. Dadurch ist da schon eine recht kritische Situation entstanden. Die Leute wollen natürlich viel raus, aber im Moment ist einfach Zurückhaltung angesagt.

STOL: Sind derzeit schon viele Wintersportler unterwegs?
Mair: Es sind derzeit schon ein paar unterwegs. Die Leute brennen darauf, endlich die Ski anzulegen und unterwegs zu sein. Es hat sich jetzt schon ein bisschen beruhigt. Aber das Wochenende zum Beispiel hatten wir dann doch Gefahrenstufe 4 gehabt und man hat auch bemerkt, dass da die Leute trotzdem unterwegs waren. In Südtirol hatten wir am Wochenende keine Lawineneinsätze. In Tirol war es aber schon etwas schlimmer und auch in der Schweiz war teilweise eine große Lawinengefahr. Bei uns in Südtirol hat es sich glücklicherweise in Grenzen gehalten und es ist nichts passiert.


Je kritischer die Situation ist, umso zurückhaltender muss ich mich im Gelände bewegen.
Thomas Mair



STOL: Als Wintersportler, der nun unbedingt die Skier anschnallen und los will. Worauf muss man da achten?
Mair: Es gibt mehrere Sachen auf die man achten sollte. Ganz wichtig natürlich: sich über die Verhältnisse und die Situation vor Ort informieren. Man muss sich auch überlegen, je nach Situation, wo kann man hingehen, welche Leute sind mit, wie gut ist die Gruppe und dementsprechend sollte man sich auch die Tour aussuchen.

Am besten in der Reihenfolge. An den Verhältnissen kann man nicht viel ändern, an der Gruppe eigentlich auch nicht. Aber man kann beeinflussen, welche Tour man wählt. Aber wie gesagt: Je kritischer die Situation ist, umso zurückhaltender muss ich mich im Gelände bewegen. Wenn es wirklich eine große Lawinengefahrenlage gibt, dann ist die Tourenauswahl sehr eingeschränkt.

Ich bin nicht dafür es total zu verbieten bei Lawinenwarnstufe 4 überhaupt zu gehen. Aber da ist die Tourenauswahl wirklich eingeschränkt und man muss sich halt mit der Situation vor Ort befassen, mit den eigenen Möglichkeiten und entsprechend eine Tour aussuchen, um sich auch sicher im Gelände zu bewegen.


Ich kann beeinflussen wie risikofreudig ich mich im Gelände bewege.
Thomas Mair



STOL: Würden Sie sagen, diese Punkte werden zu wenig eingehalten?

Mair: Wenn mal was passiert, ist meistens in der Planung schon etwas falsch gelaufen. Es gibt gewisse Regeln und allgemeine Empfehlungen und wenn man sich an diese hält, dann kann man sich schon ziemlich gut und sicher im winterlichen Gelände bewegen. Vielfach werden diese Standards aber nicht eingehalten. Und wenn man sich im Gelände bewegt, dann ist das ja nicht so, als ob die Lawine aus dem Nichts auf einen herunterbricht, mitreißt und verschüttet. Sondern eher ist das eigene Verhalten der Auslöser. Aber ich kann beeinflussen, wie risikofreudig ich mich draußen im Gelände bewege.


STOL: Was bedeuten die Fehleinschätzungen von Wintersportlern gerade für die Bergrettung? Ausrücken und dann?
Mair: Bevor wir ausrücken, müssen wir uns natürlich die Situation vor Ort anschauen und abklären. Denn wie immer, muss die Eigensicherheit gegeben sein. Wir müssen aufpassen, uns nicht selbst in Lebensgefahr zu begeben, um jemanden zu helfen. Der Unfall ist ja schon passiert, wir können nur mehr unser Bestes tun, um die Leute dann so gut es geht vom Berg zu holen. Aber immer unter Einhaltung des Eigenschutzes. Natürlich sind wir flexibel und schauen, dass wir unser Bestes und Möglichstes geben um den Leuten zu helfen.

Wenn wir dann als Bergrettung starten, gibt es verschiedene Szenarien. Das ist dann je nach Gelände und Situation und Bereitschaft immer unterschiedlich. Wenn beispielsweise sicher ist, dass jemand verschüttet ist, dann startet ein Hubschrauber direkt auf die Lawine und der zweite Hubschrauber nimmt dann gleich einen Hundeführer mit. Sowie die Bergretter immer auf Abruf sind, sind das auch die Hundeführer.


Meine Begleiter auf der Tour sind meine Retter in der Lawine.
Thomas Mair



STOL: Es heißt „Zeit ist Leben“. Bis die Bergrettung eintrifft, können die Kameraden versuchen einander zu helfen. Wie kann man am besten helfen? Woher weiß man, wie man sich am besten verhalten soll?


Mair: Wenn wir als organisierte Bergrettung ausrücken müssen, heißt das, dass die Kameradenrettung, also die Freunde vor Ort, nicht funktioniert hat oder sie sind noch dabei. Wenn wir als Bergrettung schnell sind, dann sind wir frühestens in 30 bis 40 Minuten vor Ort auf der Lawine. Wir müssen vom Arbeitsplatz ins Lokal, dort ein paar Sachen richten und auf die Lawine raufkommen. Da vergeht relativ schnell viel Zeit. Dass was funktionieren kann und soll, ist die Kameradenrettung. Das heißt, meine Begleiter auf der Tour sind dann meine Retter in der Lawine. Aber wenn ich die Planung schon gut mache, dann komme ich gar nicht in die Situation.

Wenn es mal wirklich zu einem Unfall kommt, dann muss die Kameradenrettung vor Ort schnell sein, weil die Überlebenschancen innerhalb von bis zu 18 Minuten noch bei etwa 90 Prozent liegen. Danach sinkt die Wahrscheinlichkeit rapide, wegen der Erstickungsgefahr in der Lawine. Es ist auch sehr wichtig, dass die Leute die richtige Sicherheitsausrüstung dabeihaben und mit dieser umgehen können, um eben im Notfall richtig handeln zu können.

Viele Bergrettungsstellen bieten gute Vorbereitungskurse an, wo neben einem theoretischen Vortrag auch praktische Übungen im Gelände erprobt werden. Das heißt, auch Lawinenmanagement, es wird der richtige Umgang mit dem LVS-Gerät gezeigt, wie man richtig sondiert, wie man richtig ausschaufelt und auch Erste Hilfe leistet. Da wird wirklich viel schon an Präventionsarbeit gemacht.

STOL: Was würden Sie sich für die heurige Saison wünschen?
Mair: Ich wünsche uns einen schönen Winter, einen guten Schnee und wenig Unfälle.

Die Prognose der Lawinengefahr und Informationen zu Schnee und Lawinen der Euregio-Länder Tirol, Südtirol und Trentino finden Sie hier. Diese wird täglich um 17 Uhr für den nächsten Tag veröffentlicht.
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