Freitag, 2. Februar 2024

Varesco: „Kompatscher hat sich durch ungeschickte Verhandlungen selbst geschwächt“

Südtirol hat seit Donnerstag eine neue Landesregierung. Doch den Start in diese Legislaturperiode kann man wohl getrost als holprig oder gar peinlich beschreiben. Die Politikjournalistin des Tagblatts „Dolomiten“, Barbara Varesco, sagt im STOL-Interview, dass sich der Landeshauptmann in den vergangenen Monaten selbst geschwächt habe: „Er hat verschiedenen Personen völlig unnütz vor den Kopf gestoßen und damit die Mehrheit gefährdet.“

Barbara Varesco: „Mittelfristig wird diese Situation ein Problem für die SVP.“ - Foto: © DLife/LO

Von:
Arnold Sorg
STOL: Barbara, wenn man sich die Szenen und die Wahl des Landtagspräsidenten am gestrigen Donnerstag angeschaut hat, was ist dir da durch den Kopf gegangen?
Barbara Varesco: Das, was bei der Wahl von Arnold Schuler zum Landtagspräsidenten abgelaufen ist, kann man getrost als Pannenshow bezeichnen. Die SVP kann froh sein, dass die allermeisten Südtiroler diese peinliche Show nicht live mitverfolgt haben. Es hat schon öfters 3 Wahlgänge gebraucht, aber dass ein Kandidat wie Sepp Noggler, der von der Opposition unterstützt wurde, gleich viele Stimmen bekommt wie der Kandidat der Mehrheit, also Arnold Schuler, das hat schon eine neue Dimension. Dazu kommt noch der peinliche Versuch, bei einer geheimen Wahl, die Wahlzettel öffentlich herzuzeigen, um die Mehrheit unter Kontrolle zu bekommen. Schlussendlich hat Schuler dann doch nur 17 Stimmen bekommen, bei einer Koalitionsmehrheit von 19 Stimmen. Das ist nicht nur peinlich, sondern auch gefährlich für die Mehrheit.

Die SVP hat es nicht geschafft, ihre Altlasten aufzuarbeiten. In den vergangenen 4 Monaten sind viele Mandatare unnützerweise gedemütigt worden.
Barbara Varesco, Journalistin


STOL: Inwiefern?
Varesco: Eines ist die Person von Sepp Noggler, der schon länger angekündigt hat, nicht für Arnold Schuler zu stimmen. Das größere Problem ist aber, dass es in der SVP-Fraktion Leute gibt, die bei der Probeabstimmung zwar sagen, dass es eine Frechheit ist, wenn nicht für Schuler gestimmt wird, bei der effektiven Abstimmung dann aber selbst nicht für Schuler stimmen.

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STOL: Die SVP hat ihre Leute also nicht mehr unter Kontrolle?
Varesco: Wenn man Personen hat, die vorab ankündigen, dass sie ein Problem mit irgendetwas haben und sich enthalten oder dagegen stimmen werden, dann kann man damit umgehen. Wenn Leute aber etwas ankündigen und sich nicht daran halten, dann ist das ein Problem für die Fraktion. Daran sieht man, dass viele Dinge in der SVP nicht aufgearbeitet worden sind, die in den vergangenen Wochen passiert sind. Die SVP hat es nicht geschafft, ihre Altlasten aufzuarbeiten. In den vergangenen 4 Monaten sind viele Mandatare unnützerweise gedemütigt worden.

Die Mehrheit ist in die Bredouille gekommen, weil der Landeshauptmann Arnold Schuler Hoffnungen gemacht hat in die Landesregierungen zu kommen, obwohl er selbst gar keine Ansprüche gestellt hatte.
Barbara Varesco, Journalistin


STOL: Wen meinst du?
Varesco: Ein klassisches Beispiel ist Luis Walcher und ich will damit nicht sagen, dass er am gestrigen Donnerstag gegen Arnold Schuler gestimmt hat. Aber der Landeshauptmann hat ihm nicht den Bereich Zivilschutz gegeben, obwohl man in ganz Bozen weiß, dass es keinen Feuerwehrmann mit mehr Begeisterung gibt als Walcher. Gleichzeitig hat ihm Kompatscher die 2 Bereiche Tourismus und Landwirtschaft gegeben, bei denen man genau weiß, dass es zu Reibereien kommen kann. Diese beiden Bereiche in einer Hand haben ja Arnold Schuler schon sehr viele Wählerstimmen gekostet, weil er zwischen den Verbänden aufgerieben wurde. Dann ist noch die Demütigung von Waltraud Deeg. Es war vollkommen unnütz, dass der Landeshauptmann ihr alle bisherigen Kompetenzen entzogen hat. Und schlussendlich hat Kompatscher auch Sepp Noggler fallengelassen, was für mich nicht nachvollziehbar ist. Er war ein sehr beliebter Landtagspräsident, sowohl bei der Mehrheit als auch bei der Opposition.

Viele Mandatare in der SVP-Fraktion üben ihr Amt nun mit der geballten Faust in der Tasche aus. Das ist gefährlich für die Mehrheit.
Barbara Varesco, Journalistin


STOL: Die Postenbesetzungen durch den Landeshauptmann haben die Mehrheit also in Bedrängnis gebracht?
Varesco: Ja. Die Mehrheit ist in die Bredouille gekommen, weil der Landeshauptmann Arnold Schuler Hoffnungen gemacht hat in die Landesregierungen zu kommen, obwohl er selbst gar keine Ansprüche gestellt hatte. Der Landeshauptmann konnte diese Hoffnung dann nicht erfüllen. Daraufhin hat Kompatscher Arnold Schuler aus Dankbarkeit den Posten des Landtagspräsidenten angeboten und damit Sepp Noggler bloßgestellt. Bei diesen Verhandlungen ist also einiges schiefgelaufen und was dabei herausgekommen ist, konnte man gestern im Landtag sehen. Durch die ungeschickten Verhandlungen vonseiten des Landeshauptmanns sind einige Posten ins Wanken geraten, die die Mehrheit verärgert haben. Man braucht nur an das Beispiel Waltraud Deeg denken.

Der Landeshauptmann hat sich nun Probleme gemacht, die er problemlos vermeiden hätte können.
Barbara Varesco, Journalistin


STOL: Die den Posten als Landesrätin abgelehnt hat…
Varesco: Genau. Sie hatte die Courage zu sagen „Mit mir nicht“ und hat den Posten abgelehnt. Wie gesagt, Sepp Noggler war als Landtagspräsident sehr beliebt, Magdalena Amhof als SVP-Fraktionssprecherin ebenso und Deeg hätte ihre Bereiche gerne weitergeführt. Es war also äußerst ungeschickt von Kompatscher, diese Leute so vor den Kopf zu stoßen und damit die Mehrheit zu gefährden. Viele Mandatare in der SVP-Fraktion üben ihr Amt nämlich nun mit der geballten Faust in der Tasche aus. Das ist gefährlich für die Mehrheit. Der Landeshauptmann hat sich nun Probleme gemacht, die er problemlos vermeiden hätte können. Mit Harald Stauder hat er beispielsweise nun einen Fraktionssprecher, der nicht als Freund Kompatschers bekannt ist. Stauder war der einzige SVP-Kandidat im Wahlkampf, der auf ein gemeinsames Foto mit dem Landeshauptmann verzichtet hat und ihn auch offen kritisiert hat.

Hier können Sie im STOL-Liveticker noch einmal die Ereignisse im Landtag am Mittwoch und Donnerstag nachlesen.

STOL: Der Landeshauptmann hat sich mit dieser Postenvergabe also selbst geschwächt?
Varesco: Ja, die Position des Landeshauptmanns ist nach diesen 4 Monaten der Verhandlungen geschwächt. Kompatscher hätte nach der Landtagswahl das Heft in der Hand gehabt. Er und seine Getreuen gingen gestärkt aus der Wahl heraus, aber dann hat er sich nach und nach selbst geschwächt mit Schritten und Postenvergaben. Er musste auch immer wieder Rückzieher machen.

Mittelfristig wird diese Situation ein Problem für die SVP.
Barbara Varesco, Journalistin


STOL: Zum Beispiel?
Varesco: Statt der 8er-Regierung kam die 11er-Regierung, statt Angelo Gennaccaro kam Christian Bianchi in die Landesregierung und statt Arnold Schuler dann Luis Walcher. Der Landeshauptmann blieb nie standhaft bei dem, was er wollte. Wenn ein Landeshauptmann normalerweise dem Parteiausschuss sagt „Ich will das so“, dann passiert das meistens auch. Aber Kompatscher hat sich nie durchgesetzt in den vergangenen Wochen und Monaten.

STOL: Was verheißt das nun für die kommenden Monate und Jahre?
Varesco: Mittelfristig wird diese Situation ein Problem für die SVP. Ein Sepp Noggler beispielsweise hat angekündigt, dass er sein Mandat als freies Mandat betrachtet. Und es gibt sicherlich weitere Mandatare, die nicht immer bedingungslos hinter der Mehrheit stehen werden.

STOL: Die Regierungsmehrheit steht also auf wackeligen Beinen?
Varesco: So ist es. Auch ein Andreas Leiter Reber hat gesagt, dass er zwar hinter dem Koalitionsprogramm steht, aber sein Pragmatismus Grenzen hat. Er werde nicht alle Anträge der Opposition einfach abschmettern. Die Mehrheit steht also auf wackeligen Beinen, wenn man es nicht schafft, auf jene Personen zuzugehen, die in den vergangenen Wochen abgestraft und völlig unnütz bloßgestellt worden sind.
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